1911 -
Hannover-List [u.a.]
: Carl Meyer (Gustav Prior)
- Autor: Marquardt, Rudolf
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Lehrerseminar
- Schultypen Allgemein (WdK): Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Lehrerbildungseinrichtungen
- Schulformen (OPAC): Lehrerbildungsanstalt
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
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hierzubleiben. Auf der 70 m breiten Landenge zwischen zwei kleinen Seen
wurde unser nasses Zelt aufgeschlagen. Wir sehen der bevorstehenden Nacht
mit einem gewissen Unbehagen entgegen und fragen uns, was sie wohl
bringen werde.
(4. Regenzeit.) Schon um acht Uhr wurden die Tiere in gewöhn-
licher Weise gebunden. Die Luft war ruhig, aber alle Himmelsrichtungen
konnten als gleich unsicher gelten. Diese Nacht war noch ärger als die
vorige; es war, als ob Tausende von Dachrinnen ihren Inhalt über unser
Lager ausschütteten. Aber die hierzulande vorgeschriebene Regenzeit war
da, und wir hatten kein Recht, uns zu beklagen. Wenn man, wie ich dies-
mal, vier Stunden Wache hält und bis auf die Haut naß wird, so weiß
man ganz genau, wie ein richtiger, ehrlicher Regen beschaffen sein muß . . .
31. Juli. Als ich nach mehrstündigem Schlafe geweckt wnrde, um beim
Einpacken und Beladen zu helfen, stürzte der Regen noch ebenso lustig
nieder wie bisher; aber hier gab es keine Gnade: hinauf in den Sattel,
sobald der Tag anbrach, und fort nach Südosten über beschwerliches, stark
kupiertes Terrain. Jetzt hatte unsere kleine Gesellschaft keinen trockenen
Faden mehr an sich, so daß uns der Regen eigentlich wenig genierte; aber
wir sehnten uns danach, daß die Sonne sich einmal über uns erbarmte
und uns trocknete.
Als ich mich auf meinen weichen, gepolsterten Sattel setzte, tropfte
das Wasser aus ihm; nachher erhielt ich vom Regen eine so gründliche
Dusche, daß das Wasser von meinen Kleidern in die Stiefel rann, in denen
es bei der geringsten Bewegung plätscherte. Erhob ich meinen Arm, so klang
es ungefähr, als ob ein Spüllappen ausgerungen werde. Der Weg, dem
wir noch immer folgten, — schon jetzt war deutlich zu erkennen, daß er nach
Lhasa führte, — ging über fünf Pässe, von denen jedoch die beiden letzten
nur in kleineren Abzweigungen zwischen Tälern lagen, deren Bäche einem
Haupttale zuströmten. Im Osten sah man den sich schlängelnden Fluß.
(5. Überschreiten eines Flusses.) Jetzt führte der Weg gerade
nach dem rechteu Ufer eines so breiten gewaltigen Flusses, daß wir ihn von
ferne für einen See hielten, dessen gegenüberliegendes Ufer vom Regen
verschleiert wurde. Doch das laute Aufschlagen der Regentropfen auf der
Wasserfläche wurde bald durch ein dumpferes Getöse wie vom Heranwälzen
großer Wassermassen übertönt. Auch die gelbe trübe Farbe verriet einen
Fluß, und als wir am Ufer standen und die Wellen nach Westsüdwesten rollen
sahen, war unser Schicksal deutlich besiegelt; denn hinüber mußten wir um
jeden Preis.
Der Fluß, der kein anderer war als der Satschn-sangpo^), den schon
Bonvalot, Prinz Heinrich von Orleans und Rockhill vor mir in derselben
Gegend überschritten hatten, war infolge des ewigen Regens zu ungeheuren
Dimensionen angeschwollen und teilte sich in seinem breiten Betteln zwanzig
Arme, von denen jeder an und für sich schon einen ziemlich großen Fluß bildete.
Vier Arme waren kolossal, und es erschien mir fast unmöglich, sie zu durch-
waten. Doch ohne einen Augenblick zu zögern, und ohne die Furt erst
genauer zu untersuchen, giug der Lama2), der stets vorauritt, gerade in das
x) Der Fluß mündet nordwestlich von Lhasa in den Selling-tso (See), der iviederum
etwas nördlich zwischen Tengri-nor und Dangrajum-tso (Seen) liegt.
2) = ein buddhistischer Priester, der von Sven von Hedin für den Zug gewonnen war.