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1911 -
Hannover-List [u.a.]
: Carl Meyer (Gustav Prior)
- Autor: Marquardt, Rudolf
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Lehrerseminar
- Schultypen Allgemein (WdK): Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Lehrerbildungseinrichtungen
- Schulformen (OPAC): Lehrerbildungsanstalt
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
122 —
Durchschneiden der grünlichen Fluten wissen wir kaum, wohin unsere Augen
zuerst wenden. Fast ins Wasser hinab fallen manche Häuser und Tempel.
Die zerstörende Kraft des stets tätigen Stromes hat auf manche der Ghats
ihren verderblichen Einfluß ausgeübt. In der Regenzeit schwillt der Fluß
stark an. Periodisch wie am Nil beginnt dieselbe im Mai; ihr Maximum
erreicht die Stromhöhe mit 16 m im September. Der Ganges fließt
größtenteils zwischen flachen Ufern; sein Wasser strömt Segen über das
Land durch Absetzen fruchtbaren Schlammes. Wegen der starken An-
fchwellnngen ruhen die am Ufer erbauten Paläste auf einem von hohen
Pfeilern getragenen Unterbau. Im indisch-maurischen Stil ragen eigen-
artige Prachtbauten der eingeborenen Fürsten steil anf mächtigen Quadern
auf und verschönern das Uferbild.
Wer am Ganges stirbt, kann sicher sein, in das Paradies einzuziehen.
Aus diesem Grunde haben auch viele reiche Familien hier Paläste errichtet,
damit ihre leidenden Angehörigen dort ihr Ende abwarten können. Von
einem einheimischen Fürsten wurde erzählt, daß er seine Schwiegermutter,
wohl nicht ganz mit ihrem Willen, nach Benares geschickt hatte. Sie schien
es aber nicht eilig zu haben, ins Paradies zu gelangen — „and she refused
to die" —. Energisch verlangte die Maharani, in ihren Heimatspalast
zurückgeführt zu werden und lebte lustig weiter.
Im Strom selbst wird im heiligen Wasser geschwelgt. Das Antlitz
verzückt der Sonne zugewendet, bringen die Brahmanen dieser zuerst ihr
Opfer dar. Aus einer im Lichte glitzernder Meffingkanne gießen sie Wasser
in die hohle Hand und lassen es durch die Finger meditierend langsam in
den Fluß zurückträufeln; dabei halten sie den Atem an und denken an das
Om^). — Die Sonne spielt bei den Zeremonien der Naturvölker eine
Hauptrolle. Auch bei den Jndianersesten der Sierra Madre-Stämme im
westlichen Mexiko wird der Sonnenlauf bis zur Mittagshöhe besungen. —
Nach der Verehrung des großen Gestirnes gelten die folgenden Zeremonien
dem Ganges; einige Gläubige stehen dabei auf einem Fuß. Zuletzt fpülen
sie den Mund mit dem heiligen Wasser. Jeder ist ganz von Religionseifer
erfüllt und verwendet keinen Blick auf das, was rings um ihn vorgeht.
Nach den von Sünde reinigenden Waschungen werfen sich Männer und
Frauen ganz in die Fluten. Die Mädchen wechseln darauf mit großer
Gewandtheit ihre nassen Kleider in durchaus dezenter Weise. Die Frauen
weuden den Vorüberfahrenden den Rücken zu. Es sah entzückend poetisch
aus, wie ein junges Mädchen nach Verlassen des Bades Mund, Stirn und
Augen mit dem rieselnden Wasser benetzte und diese Zeremonie mit Vitt-
gebeten und Blumenopfern begleitete. Die blitzblank polierten Gefäße aus
Messing werden zum Schlüsse noch mit heiligem Wasser gefüllt und mit
nach Hause genommen.
Priester sitzen auf deu Ghats uuter schatteuspendenden mächtigen Stroh-
schirmen aus Bambusgeflecht und malen den Hindu das Abzeichen ihrer
Kaste neu auf. Dieses heißt Upanga und besteht aus farbigen Streifen,
Punkten und Kreuzen auf Stirn, Brust und Armen. Siwas Anhänger-
trägen als sein Zeichen das Mma: drei weiße Horizontalstreifen auf der
x) So nennt man die drei heiligen, geheimnisvollen Buchstaben A U M, welche der
Ausdruck der Götter Brahma, Vishnu und Silva sind.