1911 -
Hannover-List [u.a.]
: Carl Meyer (Gustav Prior)
- Autor: Marquardt, Rudolf
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Lehrerseminar
- Schultypen Allgemein (WdK): Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Lehrerbildungseinrichtungen
- Schulformen (OPAC): Lehrerbildungsanstalt
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
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ober täuschenden Maßstab in die Hand. In Wahrheit aber sind alle
Dimensionen hier fabelhaft, kolossal, großartig. Die Kuppel z. B. ist vom
Fußboden der Kirche bis zum Auge der Laterne 123 Meter hoch, bis zum
Gipfel des Kreuzes sogar 132 Meter, so daß unser Ansgariikirchturm (mit
seinen 109 Metern Höhe) ganz bequem gerade mitten hinein gesetzt werden
könnte, ohne im geringsten anzustoßen. Die Ausdehnung der Kirche selbst
(187 Meter Länge, 137 Meter Breite im Lichten) wird man sich am
leichtesten anschaulich machen, wenn man sich unsern Domhof um 100 Schritte
verlängert und entsprechend verbreitert und dann diesen ungeheueren Raum
in angemessener Höhe überdacht und mit riesigen Pfeilern durchsetzt denkt:
Ein Flächeninhalt von 15160 Quadratmetern. Das ist der Raum, den
das Innere der Peterskirche einnimmt. Rechnet man die Umfaffungs-
mauern und die Vorhalle hinzu, so müssen jene Zahlen noch bedeutend ver-
größert, die Gesamtlänge z. B. auf 211 Meter angegeben werden. Und
nun die Pracht und der Reichtum der inneren Ausstattung! Gold und
Marmor scheinen für den Statthalter Christi so billig gewesen zu sein wie
Kieselsteine. Der Aber- und Leichtglaube der guten Deutschen lieferte ja,
wie Luther klagt, unendliche Schätze nach Rom, und vom Ablaßgelde bauten
die Päpste diesen Dom. Der ganze Bau hat 260 Millionen Franks ge-
kostet, das Pflaster des Petersplatzes allein 88 000 Skudi (1 Skudo —
4 Mark), und die jährlichen Unterhaltungskosten der Kirche betragen gegen
160000 Fr. Schiller hatte wohl recht zu singen:
Prächtiger als wir in unserm Norden,
Wohnt der Bettler an des Engels Pforten,
Denn er sieht das ewig einz'ge Rom.
Ihn umgibt der Schönheit Glanzgewimmel,
Und ein zweiter Himmel in den Himmel
Steigt St. Peters wunderbarer Dom.
Ich habe je länger je mehr gestaunt über diesen zweiten Himmel unter
dem Himmel; denn je länger man ihn sieht und kennt, desto mehr kommen
einem die Riesenmaße zum Bewußtsein, und was man schon drei-, viermal
betrachtet hat, das gewinnt bei abermaliger Betrachtung nur an Interesse;
denn über hundert Einzelheiten von Bedeutung sieht man zunächst ganz
hinweg und entdeckt sie erst nach und nach. Ich denke mir, wer in Rom
wohnt und immer wieder alles sehen und vergleichen kann, der muß mit
der Zeit wohl bekannt und vertraut mit allem Großen werden, aber ge-
sättigt oder gar übersättigt wird er niemals. Das ist in Rom das Einzige
und Wunderbare.
Mit der Peterskirche ging es mir also gerade wie mit dem Forum; ich
konnte mich nicht satt daran sehen, fühlte mich immer wieder zu ihr hin--
gezogen und teilte zwischen Forum und St. Peter redlich, was mir von
freien Stunden übrig blieb. An dem Stil der Kirche, vor allem an ihrer
einem Theater nicht unähnlich sehenden Fassade, ist bekanntlich viel getadelt
worden; aber ebenso allgemein und vollkommen berechtigt ist das Lob ihrer
harmonischen und durchaus befriedigenden Proportionen bei der kolossalen
Größe. Gleich der erste Anblick des Mittelschiffes, wenn man eingetreten
ist, erfüllt uns mit dem wohltuenden Gefühle des schönsten Ebenmaßes,
welches in all diesen Kurven des Gewölbes, der fernen Hauptkuppel und
den Bögen zu den Seitenschiffen waltet. Ich muß zwar gestehen, daß ich