1911 -
Hannover-List [u.a.]
: Carl Meyer (Gustav Prior)
- Autor: Marquardt, Rudolf
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Lehrerseminar
- Schultypen Allgemein (WdK): Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Lehrerbildungseinrichtungen
- Schulformen (OPAC): Lehrerbildungsanstalt
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Spinnstuben allerlei Ergötzlichkeiten getrieben wurden. Lassen große Herr-
schaftsbesitzer berühmte Ökonomen kommen, um durch sie Verbesserungen
im Landbau und in der Viehzucht einzuführen, so passen die Bauern wohl
auf, bezahlen durch Sammlungen den fremden Ratgeber selbst für einige
Zeit, um die Verbesserungen auch auf ihren Gründen einzuführen. Doch
gilt dies nur auf dem Gebiete des nördlichen und mittleren Böhmerwaldes,
wo der Bauer als freier und größerer Eigentümer auch über reichlichere
Mittel verfügt.
Gelten diese Charaktereigentümlichkeiten vom Volke des Böhmerwaldes
überhaupt, so müssen doch zwei Volkstypen hervorgehoben werden, welche
neben der heimischen Eigenart noch ihr besonderes Gepräge nach Leibes-
und Geistesanlagen zeigen: die Bewohner des Städtchens Wallern und dessen
Umgebung, sowie die Bewohner des Gebietes der sogenannten Freibauern. —
Die (klinischen, d. i. königlichen) Freibauern, das Gebiet zwischen Inner-
gesild im Süden und Neuern im Norden bewohnend, stammen von den
deutschen Kolonisten, welche als Beschützer der Grenze des Böhmerwaldes
angesiedelt und mit vielen Rechten und Vorrechten ausgestattet wurden.
Sie hatten auf ihrem Gebiete acht Freigerichte, wählten ihre Beisitzer selbst,
und ihr Oberrichter leitete alle sie betreffenden Rechtsangelegenheiten, wie
das Steuer- und Konskriptionswesen. Aus dieser Kolonie erwuchs ein
stolzes Volk von Bauern, das in deutscher Treue am Hergebrachten festhält
und ein festes Standesbewußtsein hochhält. Mit diesen „Königsbauern"
haben die sogenannten „Wallinger", die Bewohner des an der Straße von
Knschwarda nach Prachatitz gelegenen Städtchens „Wallern" die aus-
geprägte Charakterfestigkeit und den Hochsinn für Unabhängigkeit gemein.
Auch diese Wackeren entstammen, wie man vermutet, einer Kolonie, und
zwar einer Einwanderung von Schweizern; aber diese Annahme ist so wenig
nachzuweisen als die ganz unstichhaltige Behauptung, daß die Wallinger
einer — römischen Kolonie entstammen, weil man unter ihnen sogenannte
römische Köpfe mit schwarzem Haar, dunklem Teint und Adlernasen häustg
findet. Eine stark vertretene Ansicht geht dahin, daß die Wallinger von
einem Reste der Markomannen oder deutscher Ureinwohner herstammen;
diese Ansicht, sowie die früher erwähnte, daß Schweizer die erste Ansiedluug
gegründet haben, findet gleichmäßig einige Bekräftigung durch den besonders
stark hervortretenden Zug der Unabhängigkeitsliebe bei den Wallingern, die
schon vor 300 Jahren bedacht waren, aus dem Bande der Untertänigkeit
und Leibeigenschaft sich loszulösen durch Bezahlung eines Lösegeldes an den
Schutzherrn Peter von Rosenberg.
(2.) Haben wir der Bewohner des Freibauerngebietes und des Städt-
chens Wallern besonders gedacht, so liegt es nahe, noch einer anderen Eigen-
tümlichkeit dieser Kolonien — der Eigenart der Wohnstätten — unsere
Aufmerksamkeit zu widmen; denn diese Eigenart ist maßgebend für die früher
allgemein und jetzt noch vielfach vorhandene Bauform bei Einzelhöfen wie
in geschlossenen Dörfern und Märkten. Die Eigenart der Wohnstätten im
Böhmerwalde ist eins mit der Bauart der Blockhäuser im angrenzenden
Bayerwald bis hinunter gegen Passau und weiterhin nach Oberösterreich;
sie findet sich in Tirol und in den Alpenländern wieder, nur mit dem
Unterschied, daß hier die Balken glatt behauen, im Böhmerwalde zumeist
nur grob geschrotet werden. Will man diese, eigentlich nicht spezifische
Marquardt, Quellenlesebuch. 14