1911 -
Hannover-List [u.a.]
: Carl Meyer (Gustav Prior)
- Autor: Marquardt, Rudolf
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Lehrerseminar
- Schultypen Allgemein (WdK): Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Lehrerbildungseinrichtungen
- Schulformen (OPAC): Lehrerbildungsanstalt
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
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größerer Mächtigkeit wieder. Das gilt sowohl für die eigentlichen Wasser-
stürze, welche von den Plateaurändern niedergehen, wie für die Flnßkaskaden
eines Talgrundes, also für den Rheinfalltypus. Ein großer Teil derselben
ist mir den Anwohnern bekannt. In der Nähe des Polarkreises, in dem
Gebiete des Sulitjeltna, habe ich Fälle besucht, welche mein Staunen um so
mehr weckten, als ich nie zuvor vou ihnen gehört hatte.
Daß gerade in der Polarregion, während des Sommers, so Wasser-
reiche Fülle vorhanden sind, das hat noch seinen besonderen Grund. Wie
für die Pflanzen, so besteht auch für den Wasserfall ein jährlicher Kreis-
lanf des Lebens. In der langen Winternacht wächst die Schneeschicht des
Fjelds mit jedem neuen Niederschlag. Die Sonne, wenn sie überhaupt
über dem Horizont auftaucht, steht so tief, sendet so schräge Strahlen, ver-
schwindet wieder nach so kurzer Zeit, daß von einem Schmelzen und Ab-
fließen kaum die Rede sein kann: der Wasserfall erstirbt. Wenn aber mit
dem beginnenden Frühling die Sonne höher ani Himmel aufsteigt, wenn
das Bogeustück des sichtbaren Sonnenlaufes sich mehr und mehr gegen den
sichtbaren Pol verschiebt und dadurch größer und größer wird, bis es endlich
in einen vollen Kreis übergeht: dann beginnt der große Ausgleich, welcher
den Schuee des Fjelds durch Wasserfälle dem Meere zuführt. Der Schmelz-
Prozeß wird immer mächtiger, die Unterbrechung durch die Nacht immer
kürzer, und wenn schließlich die Sonne auch zur Mitternachtsstunde über
dem Horizont steht, so rinnt das Schmelzwasser ohne Unterlaß ab. Dann
treten uns die winterlichen Schneefälle des Hochgefildes konzentriert in den
sommerlichen Wasserfällen der Gehänge entgegen.
(3. Hardanger Fjord.) Was den Hardangerfjord berühmt gemacht
hat — viele preisen ihn als den schönsten Norwegens — das ist zum Teil
die Lieblichkeit seiner User, an denen wir srenndliche Wohnstätten, Wälder,
Wiesen und Obstbäume, Wasserfälle und Felsgestein antreffen; zum audereu
Teil ist es seine merkwürdige Gestalt, welche einem Angelhaken mit Wider-
haken gleicht. . .
Der Haken hat eine scharfe Bieguug; sein Hauptzweig (80 km) ist
nordöstlich gerichtet, der andere (40 km) südlich; letzterer heißt Sör-, d. h.
Südsjord; der von der Biegungsstelle nach Osten, in das Festland ein-
springende Wideihakeu (30 km): Eidsfjord. Das scharf auslaufende Ende
des schmalen Sörfjords bildet die Spitze des Angelhakens, und da beide
Zweige stark gegeneinander gebogen sind, so umspülen dieselben eine keil-
förmige Halbinsel; sie hängt mit dem Festland durch eiueu Isthmus von
nur 25 km Breite zusammen und erstreckt sich 50 km weit nordnordöstlich.
Jhre^ gewundene Küstenlinie mißt wohl das Vierfache; sie taucht in die
Wasser von elf mit einander zusammenhängenden Fjordbecken.
Das Beachtenswerte ist nun, daß sich die Halbinsel hoch in die Lüfte
hebt und ein mit ewigem Schnee bedecktes Hochgefilde trägt: die Folgefond.
Ihre weißen Kuppen senden ein strahlendes Licht hernieder zu den dunklen
Wassern des Hardangersjords; die schroffen Abfälle des Plateaus bringen
oft das Auge des Bootsmannes in unmittelbare Beziehung zu dem Schnee
der Höhe; nicht immer verhüllen Vorberge das Bild, welches sich dem
Wanderer sonst nur in der Höhe zeigt. Und dieses wechselnde Auftauchen
und Verschwinden der Schneegefilde bestimmt den besonderen Reiz des
Hardangersjords. Es wäre ganz wohl denkbar, daß sich in gewissen Seiten-
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