1911 -
Hannover-List [u.a.]
: Carl Meyer (Gustav Prior)
- Autor: Marquardt, Rudolf
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Lehrerseminar
- Schultypen Allgemein (WdK): Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Lehrerbildungseinrichtungen
- Schulformen (OPAC): Lehrerbildungsanstalt
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
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das Rathaus mit seinem Bilderschmuck, seiner Folterkammer und den unter-
irdischen Gängen. Ihre großen Männer ehrt die Stadt durch zahlreiche,
schöne Denkmäler und Wandtafeln. Weltberühmt ist das Germanische
Museum mit den Sammlungen alles dessen, was für deutsche Kultur- und
Kunstgeschichte von Belang ist. Die Anregung zu dieser Gründung gab
Freiherr Hans von Aufsees; die Genehmigung der Anstalt erfolgte 1853,
und entwickelte sich die Sammlung anfangs nur langsam. Dank dem all-
seits entgegengebrachten Interesse und fürstlichen Wohlwollen in vielen
Staaten ist das Germanische Museum heute eine großartige Anstalt von
höchster Bedeutung.
Für Nürnberg ist die Zugehörigkeit zu Bayern segensreich geworden, der
König Ludwig I. förderte die Stadt vielfach. Regsam waren die Nürnberger
immer; sie errichteten sich auch die erste Eisenbahn (Nürnberg-Fürth) mit
Dampfbetrieb auf Anregung zweier Kaufleute im Jahre 1835. Durch
Cramer-Klett wuchs die Maschinenindustrie ins Titanenhafte, Faber schuf
die Bleistiftfabrikation, Schuckerts Leistungen auf elektrotechnischem Gebiete
aus kleinen Anfängen heraus sind weltberühmt geworden. Goldschlägereien,
Spiegelglasfabriken usw. siud von größter Bedeutung, nicht minder der
Nürnberger Hopfenhandel, die Brauindustrie usw.
(2. München.) Nun südwärts. Wie die Reisenden doch gucken, wenn
jemand im Coup6 auf rascher Fahrt sagt: „Gott sei Dank! Die Frauen-
türme tauchen auf!" München tritt in Sicht, und fern im Süden blinkt
blauduftig das Gebirge entgegen. Ein seltsamer Anblick, diese Domtürme
der bayrischen Hauptstadt! 98 m hoch ragen sie im verwitterten Ziegelbau
in die raucherfüllte dunstige Luft, wuchtig und unvollendet. Schwerfällige
birnenförmige Helme liegen auf den schwarz gewordenen Türmen, von denen
boshafte Leute sagen, das Geld zum Ausbau hätte nicht mehr gereicht, und
darum hätte man zwei Maßkrugdeckel an Stelle steinerner Spitzen gesetzt,
die ja recht gut sür die — Bierstadt passen. Das gemütliche, ruheliebende
München hat sich sowohl mit der Tatsache unvollendeter Türme als auch
mit dem sticheligen Witz abgefunden. Warum es nur jedem iu der bayrischen
Hauptstadt so wohlig wird ums Herz? Noch sind wir Münchener keine Halb-
million; aber in unseren Mauern quillt doch schon so etwas wie groß-
städtisches Treiben ohne die Berliner und Londoner Hast; wir sind städtisch
genommen groß und doch wieder behaglich klein, und ungeniert kann jeder —
selig werden. Dazu kommt der Umstand, daß es in den geheiligten Gersten-
saftabgabestellen keinen indischen Kastengeist gibt, was maßen der bayrische
Bierminister von jedermann ohne Ansehung der Person die Groschen nimmt.
Kunst und Leben ist nirgend so ineinander verwoben als in der Stadt der
„Kunst und der Feste". Und das Münchener Volk ist gemütlich, vielleicht
etwas derb behaglich, doch immer gutmütig, auch im Spott, so lange dem
Residenzbajuwaren nicht auf die Schädeldecke geklopft wird. Daun der
ansteckende Durst. Temperenzler und Trappisten werfen ihre Grundsätze
über Bord im Weichbilde der Bierstadt, und selbst in den kunstgeweihten
Stätten der „Thekeu" weht so etwas wie Malzduft. Dazu der Klassizismus
Ludwigs des Großen auf Schritt und Tritt, der ins Blut übergegangen ist.
Und Theaterpremi^ren sind Ereignisse, die einem Reichskanzlerwechsel nicht
viel nachstehen. Wenn auch ohne Leipziger Gewandhaus, ist München eine
Musikstadt ersten Ranges. Wo sich Minister wegen Übertretung des Hunde-
Marquardt, Quellenlesebuch. 19