1911 -
Hannover-List [u.a.]
: Carl Meyer (Gustav Prior)
- Autor: Marquardt, Rudolf
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Lehrerseminar
- Schultypen Allgemein (WdK): Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Lehrerbildungseinrichtungen
- Schulformen (OPAC): Lehrerbildungsanstalt
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
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schienen, und wenn man nach Umständen 6000 Gulden für ein Stück 1852er
Deidesheimer Auslese zahlt, so ist selbst die alte Nebenbuhlerschaft zwischen
Pfalz und Rheingau wiederhergestellt. Vielleicht briugens die Pfälzer auch
uoch so weit wie die Schwaben, die in guten Jahrgängen Trauben von
solchem Gehalt erzielen, daß, wenn der Bürgermeister nur eiue Beere am
Mund zerdrückt, die ganze Gemeinde davon einen Rausch bekommt.
(3. Das gebirgige Westrich.) Es ist nicht ein Übergangsgebiet,
sondern eine scharfe Linie, welche den Ostrand des Westrich von der
Vorderpfalz scheidet. Ganz anderes Land, andere Leute kommen hinter dem
Vorwall der Hart. Es gibt keinen bestimmteren Gegensatz zu absolutem
Weinland als absolutes Waldlaud, und beides steht hier unvermittelt
nebeneinander. In manchen der fruchtreichsten Striche der Vorderpfalz
ist schon lange vor der französischen Revolution bitter geklagt worden über
die Entlegenheit der Waldungen, die schwierige Holzzufuhr und wahreu
Holzmangel. In vielen Waldgegenden des Gebirges dagegen mag man um-
gekehrt klagen über den Mangel an ausgiebigem Ackerboden bei Waldüber-
fluß. Doch begann schon im vorigen Jahrhundert die Ausführung der
Hochstämme als Floßholz zum holländischen Schiffbau diesem Überfluß
teilweise ein Ende zu machen.
Am Rheinufer finden wir reine Fischerdörfer, wie etwa Altripp, fast
ans eiuer Jufel gelegen, mit einer kleinen Gemarkung, die überwiegend ans
Wiese und Wald besteht, ein Dorf, deffen Bevölkerung gar keine andere
Wahl hat, als dem väterlichen Gewerbe der Schiffahrt und der Fischerei
treu zu bleiben. Das Fischerdorf Roxheim hat sogar eine „Fischkirchweih."
Vor der Hart stießen wir auf ebenso notwendige reine Weiudörfer. Hier
im gebirgigen Westrich haben wir etliche reine und ursprüngliche Holzhauer-
dörfer. So Dansenberg bei Kaiserslautern, welches erst in ziemlich neuer
Zeit von Holzhauern an einer lichten Stelle mitten im alten Reichswald
erbaut worden ist. Denselben Ursprung schreibt man der Gemeinde Linden-
berg hinter Neustadt zu. Das Emblem im Ortssiegel von Dansenberg —
ein Baum, darauf ein Vogel fliegt — wird auf die Vogeljagd gedeutet,
der weiland die Dansenberger Holzhauer in ihren Mnßestnnden nnter den
Fenstern ihrer Häuser obgelegen haben. Man sieht, im gebirgigen Westrich
atmet alles Waldesluft.
(4. Regsamkeit und Fleiß der Pfälzer.) Die Pfälzer gehören
zu den fleißigsten Landwirten Europas; eiu gesegneter Boden begünstigt
diesen Fleiß. Doch genügt dies nicht, die glänzenden Resultate der
pfälzischen Wirtschaft zu erklären. Es kommt noch die fränkische glückliche
Hand dazu, die Beweglichkeit, der Fortschrittstrieb, der Rationalismus des
Frauken. Der schwäbische Bauer ist nicht so hitzig, dagegen vielleicht noch
zäher in seinem Fleiße wie der Pfälzer; aber er ist nicht so flink, nicht so
gewürfelt, er hat jenen schlagfertigen fränkischen Mutterwitz nicht, für
welchen der Pfälzer ein ganz eigenes Wort besitzt: er ist nicht so „schlitz-
öhrig". Andere sprechen „schlitzhärig" und meinen, es bedeute einen Haar-
spalter. Das trifft aber den Sinn nicht, und der grübelnde Schwabe
wäre viel mehr eiu Haarspalter als der Pfälzer. Wer fo praktisch pfiffig
ist, wie einer, dem der Büttel schon einmal die Ohren geschlitzt hat, ist
schlitzöhrig, ein „durchtriebener" Schlaukopf. Kraft dieser angestammten
Lebensklngheit hat sich der Franke in der Pfalz, am Mittelrhein und Unter-