1911 -
Hannover-List [u.a.]
: Carl Meyer (Gustav Prior)
- Autor: Marquardt, Rudolf
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Lehrerseminar
- Schultypen Allgemein (WdK): Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Lehrerbildungseinrichtungen
- Schulformen (OPAC): Lehrerbildungsanstalt
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
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ober durch Villenbau in irgendeiner Kolonie sich das Familienhaus retten
und seinen Geschmack, wenn er welchen hat, oder den seines Architekten daran
erweisen. So entstanden auch schon vor Jahrzehnten gleich außerhalb des
engeren Weichbildes der Stadt nicht wenige Villenviertel, und zwar, wegen
der Nähe des Tiergartens und später auch wegen der des Grunewaldes,
vorzüglich im Westen; allmählich jedoch, sie verdrängend, rückte die Miet-
stadt nach, und zwar im Westen wiederum mit vornehmen und teuren
Straßen, während der Osten und besonders der Norden den Ärmeren und
der unangenehmen Nachbarin, der Industrie, zufielen und die Villen sich
ringsum in die Wälder und Felder zurückzogen. Das Zentrum aber, das
alte Köllu-Berliu, beginnt allmählich sich zu entvölkern: seine Häuser ver-
waudeln sich vom Keller bis zum Speicher in Läden, Magazine, Speditions-
und Fabrikräume, die bei Tage vom Menschengetriebe überfüllt sind, während
zur Nacht die Besitzer nach der einen, die Arbeiter nach der andern Seite
aus ihnen auswandern und nur die Wächter am Orte verbleiben.
(3. Verkehrs leben.) Gesteigert wird dieser große Eindruck nnn noch
durch die imposanten Mittel des Verkehrs, die sich allenthalben dem Berliner
darbieten. Ein starker Verkehr bedeutet hochentwickelte Arbeit, nur ausge-
uommeu natürlich der, der an Orten und zu Zeiten stattfindet, da man sich
erholt oder Außergewöhnliches vor sich geht; und zu dem Bilde der Bauten
von Berlin gehören unbedingt die Anlagen, die seinen Verkehr bewältigen.
Wenn in frühester Zeit die Reisenden und die Warenballen entweder auf
dem Rücken von Lasttieren herankamen oder auf der Spree, die wohl uoch
der bequemste Trausportweg war, dahersuhren, und im Innern der Städte
nur selten ein Pferd und kaum jemals ein Wagen sich zeigte, wenn auch iu
späteren Jahrhunderten nnr wenige feste Straßen Berlin mit der Außen-
welt verbanden, und wer den Gassenschmutz vermeiden wollte, sich der
Sänfte bediente, Karossen und Reitpferde aber den Staudespersouen und
Offizieren überließ, so dringen jetzt nicht weniger als elf Hauptlinien der
Eisenbahn von allen Seiten in die Weltstadt ein, münden in ungeheuren,
weitverzweigten Bahnhofsbauten und vermitteln, wie der doppelte Kreislauf
des Blutes in nnserm Körper, das ununterbrochene Zu- und Abströmen
srischer Kräfte und unermeßlicher Werte aus der ganzen Welt und in sie hinein;
und sie werden ergänzt dnrch die zwar immer noch schwerfällige, aber keines-
wegs unbedeutende Schiffahrt auf der Spree und den beiden großen Kanälen,
dem Landwehr- und dem Schifsahrtkanal, die im Nord- und im Humboldt-
Hasen ihre Ruhepunkte hat. Im Innern der Stadt jedoch und für die
Verbindung mit den Vororten genügen die Stadt- und die Ringbahnen,
die hundert elektrischen Linien und die zehntausend Droschken nun auch nicht
mehr, um den Verkehr zu bewältigen, und die Fahrbahnen der wichtigsten
Strecken werden verdreifacht, indem man ein Stockwerk über ihnen und
kellertief unter der Erde neue Wege eröffnet. Selbst damit ist es noch nicht
genug: das Wort, der Gedanke kann längst dnrch Telegraph und Telephon,
die Rohrpost und den Briefboten überholend, in Augenblicken feine Wirkung
tun und weltbewegend in den Verkehr eingreifen. Die Summe vou Scharf-
sinn, Wissen, Geschick, Kapital und Leistung, die in allen diesen Einrichtungen
dem Verkehr dient, läßt auch von ihr aus auf deu Umfang der produktiven
Arbeit in Berlin schließen, von der der Verkehr ja nur eine Begleit- und
Folgeerscheinung ist.