1911 -
Hannover-List [u.a.]
: Carl Meyer (Gustav Prior)
- Autor: Marquardt, Rudolf
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Lehrerseminar
- Schultypen Allgemein (WdK): Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Lehrerbildungseinrichtungen
- Schulformen (OPAC): Lehrerbildungsanstalt
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
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in den Großvaterstuhl an der Feuerwand, um die Diele und das flett zu-
gleich überblicken zu können. Über unserem Haupte ragt aus der füerwand
ein beinahe gespenstisches Gebilde heraus, ein Holzgerüst, das mit den
emporgebogenen, in Gestalt von Pferdeköpfen ausgeschnittenen Enden fast
an die hochgehörnten Schiffe der alten Wikinger gemahnt; es ist der remen,
der den Funkenflug vom Dachboden herabdrücken soll, dem Kesselhaken als
Träger dient und zugleich als Trocken- und Wärmeplatz für naßgewordene
Sachen. Geradeaus blicken wir in die hohe Dielenhalle, auf deren Fuß-
boden herniederflatternde Tauben die letzten Körnchen aufpicken. Links und
rechts geht die Wohndiele an die Außenwand durch, beiderseits überspannt
von einem ganz gewaltigen Balken, alles schwarz geräuchert; dort stehen
anch die uralten, braunen Truhen. Im prächtigsten Gegensatz zu dieser
dunklen Halle steht das volle Sonnenlicht, das durch die meist bleigefaßten
Fenster und die offene kleine Seitentür hereinflutet. Und wir sitzen am
offenen Herd beim Kesselhaken, nach dem früher die Grenze der Dorfschaften
bestimmt wurde (von einem Kesselhaken zum andern), bei dem geschworen
wurde, und um den der Bräutigam seine junge Gattin herumführte zum
Zeichen, daß sie teilhabe an seinem Besitz. Das Ganze mutet uns an wie
ein Bild aus deutscher Vorzeit. Die den Menschen hier beschleichende
Stimmung hat ihren Dichter, die herrliche Farbenwirkung ihren Maler
bereits gefunden. Der Eindruck ist unauslöschlich.
Ii. Die wichtigsten deutschen Dorfstedelungen.
(„Deutsche Volkskunde." Vou Elard Hugo Meyer. Mit siebzehn Abbil-
dungen und einer Karte, Straßburg, Verlag von Karl I. Trübner, 1898. 362 Seiten,
6 Mark, geb. 6,50 Mark. S. 2—4, 41—48.)
(1.) Das Haufendorf oder Sippendorf wurde zuerst in Urdeutsch-
land gegründet, das von der Nordsee und der dänischen Grenze sich zwischen
der Schweutiue, der Unterelbe, der Saale und dem Thüringer Wald einer-
seits und der Unterweser, dem Osning, dem Rothaargebirge und dem Taunus
andererseits bis gegen den Main hin erstreckte und etwa im vierten Jahr-
hundert v. Chr. von den Sneven, Chatten und Hermunduren und später
zum größten Teil von den Sachsen besetzt wurde. Die heutigen Länder
Schleswig-Holstein, Osthannover, Braunschweig, Hessen und Thüringen
bildeten Deutschlands ältesten Kern. Beim Vordringen jener Stämme gegen
Süd und West wurde das Haufendorf über den größten Teil Mittel- und
Oberdeutschlands verbreitet. Wir finden es bei den Franken am Main und
in der Pfalz, bei den Schwaben-Alamannen am Neckar und Oberrhein bis
zum Lech, bei den Bayern vom Lech bis zur Isar und bis ins Tiroler
Jnntal hinein. Das Haufendorf ist eine lockere Gruppe planlos gelegter
Hofstätten von mäßiger Anzahl, wie das Wort Dorf, mit dem das lateinische
turba Schar, Haufe urverwandt ist, ursprünglich nur eine bloße Menge
bedeutet. Jedes Haus hat seine eigene Richtung und liegt für sich, ist
zwar den anderen Häusern benachbart, berührt sie aber nicht und schließt
sich-vollends nicht mit diesen zu einer Reihe zusammen. So ist denn auch
das Wegeuetz des Dorfes regellos, krumm und winkelig. Im Mittelalter
umgab ein Etter, Dorfzaun oder Hagen, im Westen auch wohl eine
Mauer das Dorf mit seinen Höfen und Gärten.