1909 -
Dresden
: Bleyl & Kaemmerer
- Autor: Fick, Wilhelm
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Lehrerseminar
- Schultypen Allgemein (WdK): Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Lehrerbildungseinrichtungen
- Schulformen (OPAC): Seminar
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): Jungen
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bemüht oder nicht, was kommen soll, kommt doch. „Allah hat's so bestimmt", damit fügt
sich der Türke in stummer Ergebung in alles, was ihn trifft. Anderseits hat dieser
Schicksalsglaube aber auch dazu beigetragen, jenen Mut und jene Todesverachtung zu erzeugen,
die türkische Heere so oft bewiesen haben. Aus dem Mangel an Tatkraft erklärt es sich
auch, daß die meisten Türken arm sind. Zu Geldgeschäften taugen sie gar nicht. Ihre
Hauptbeschäftigung sind Ackerbau und Viehzucht.
In der Kleidung, die bei Männern und Frauen fast gleich ist, liebt der Türke
bunte, grelle Farben. Man trägt weite, faltenreiche Beinkleider, die unten geschlossen und
über den Hüften mit einem Gürtel befestigt sind, eine westenartige Seiden- oder Baum-
wollenjacke mit einer offenen Jacke darüber und auf dem Kopfe einen Turban, eine rote,
mit einem Wolltuch vielfach umschlungene Mütze. In neuerer Zeit ist der Fes, ein rotes
Mützchen ohne Schirm, mehr in Gebrauch gekommen. Beim Ausgehen trägt man einen
weiten Überwurfsmantel, die Frauen bedecken außerdem ihr Gesicht mit einem dichten
Schleier. Bei den vornehmeren Ständen wird jedoch immer mehr europäische Tracht üblich.
Im Essen und Trinken ist der Türke meist sehr mäßig. Der Genuß des Weines
ist durch die Religion streng verboten. Viele unter den Vornehmen aber setzen sich über
das Gebot hinweg und nehmen überhaupt europäische Sitten an. Sehr beliebte Genüsse
sind das Kaffeetrinken und Tabakrauchen. Überall sieht man Kaffeehäuser und in den
größeren Städten auch umherziehende Kaffeewagen. Ein steter Begleiter des Türken ist
seine Pfeife. Mit Pfeife und Kaffee wird jeder Besuch empfangen. In Gesellschaft wird
häufig die Wasserpfeife (Nargileh) geraucht, bei der der heiße Tabaksrauch durch Wasser
geleitet und abgekühlt wird.
Von einem eigentlichen Familienleben kann bei dem Türken keine Rede sein, weil
die Frau eine durchaus untergeordnete Stellung einnimmt. Sie ist dem Manne keine
treue Lebensgefährtin, keine Freundin in frohen und trüben Tagen, sondern nur die
Dienerin seines Willens und Vergnügens. Sie wohnt abgesondert mit den Kindern in
einem besondern Teile des Hauses, dem Harem, den außer dem Hausherrn kein Mann
betreten darf. Will sie ausgehen, so muß sie sich mit einem Schleier dicht verhüllen.
Dazu kommt die Vielweiberei. Dem Manne sind durch das Gesetz vier rechtmäßige Frauen
und eine beliebige Zahl von Nebenfrauen gestattet. Dadurch wird das Haus zu einer
Stätte der Eifersucht und oft bitteren Hasses. Doch haben die ärmeren Türken fast durch-
weg nur eine Frau, weil sie mehr nicht zu ernähren vermögen. Die Abgeschlossenheit
und niedrige Stellung der Frauen hat zur Folge, daß sie ihren Männern nicht helfen,
daß sie in deren Geschäften nicht mit tätig sein können, höchstens auf dem Acker. Selbst
die Hausgeschäfte überwacht der Mann, der auch die Einkäufe besorgt oder durch einen
Diener besorgen läßt. Daher bleiben die Frauen auch in der Bildung zurück. Die
Mädchen wuchsen früher selbst in den vornehmen Häusern ohne jeden Unterricht auf. Die
reiche Türkin rührte keine Hand zur Arbeit, und bei dem Mangel an jeder ernsten Beschäftigung
vertrieb sie sich mit ihren Dienerinnen die Zeit, so gut sie konnte, d. h. mit Putz, Tabakrauchen,
An-, Aus- und Wiederankleiden, Plaudern, Zuckerwerkessen, Aufputzen der Kinder usw. Doch
hat sich in der letzten Zeit eine Wandlung zum Besseren vollzogen. In den von der
europäischen Kultur beeinflußten vornehmen Kreisen ist die Stellung der Frau schon eine
viel freiere geworden; die Mädchen eignen sich mehr und mehr europäische Bildung an,
und es gibt sogar schon türkische Schriftstellerinnen. Das Vorbild der oberen Gesellschafts-
schichten wirkt natürlich auch auf die untern Klassen ein, doch vollzieht sich jeder Fortschritt
hier viel langsamer.
Für die gesellschaftlichen Zustände ist bezeichnend, daß unter den Türken kein
Erbadel besteht, daß man überhaupt auf die Abstammung keinen Wert legt, daß man keine
Fick, Erdkunde. Iii. Band. o