1911 -
Leipzig
: Freytag
- Autor: Kretschmer, Karl, Steinecke, Victor Albert G...
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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G. Die Deutschen Kolonien.
1. Gründe für die Kolonisation. Kolonien oder Pflanzstädte wurden seit
alter Zeit von kulturkräftigen Völkern außerhalb des Heimatlandes angelegt,
teils um ihren Einfluß auf andere Gebiete zu übertragen, teils auch nur, um
einer Übervölkerung im Mutterlande vorzubeugen. Häufig war auch der wirt-
schaftlich schlechte Zustand des Hauptlandes die Veranlassung zur Gründung
von Außensiedlungen, und namentlich in trockenen Gebieten, wo öfter Mißernten
vorkommen, trat dieser Fall in alten Zeiten mehrmals ein. Jetzt ist die Veran-
lassung zum Gründen von Kolonien häufig dieselbe, wie die Veranlassung zum
Auswandern überhaupt: Unzufriedenheit mit den politischen, wirtschaftlichen
oder religiösen Zuständen der Heimat. In Zeiten, wo neue große Erdräume ent-
deckt wurden, hat auch die einfache Unternehmungslust zur Anlage von aus-
wärtigen Besitzungen geführt.
Nicht jede Siedlung im fremden Lande bezeichnet man im engeren Sinne als
Kolonie, sondern man hat sich daran gewöhnt, diesen Namen nur dann anzu-
wenden, wenn es sich nicht nur um eine Verpflanzung von Menschen, sondern
zugleich um eine Verpflanzung und Ausbreitung höherer Kultur handelt, im
Gegensatze zu den kriegerischen Eroberungen, die häufig mit der Zertrümmerung
von Kultur enden.
Deshalb waren die wichtigsten Gründer von Kolonien in alter Zeit die
Phönizier und die Griechen, im Mittelalter die Spanier und Portugiesen und die
deutschen Kaufleute, sowohl der Hansabund als auch die großen Handelshäuser
der Fugger und Welser. In neuester Zeit kommen in erster Linie diejenigen
in Betracht, die wegen religiöser Bedrückung zur Auswanderung gezwungen
wurden, wie die Quäker und die Mormonen, die in Amerika große Gebiete
zivilisiert haben.
2. Arten der Kolonisation. Die Kolonien sind je nach ihrem Zweck verschie-
dener Art. Man legt sie an, um die überschüssige Bevölkerung oder lästige Staats-
angehörige dort unterzubringen (Verbrecherkolonien). Manchevölker nehmen auch
bloß aus Eroberungslust andere Länder in Besitz, um dort Herrschaft auszuüben,
wie beispielsweise die islamitischen Völker. Wichtiger sind die auswärtigen Besitzun-
gen, in denen man wirtschaftlich zu arbeiten gedenkt. Diese teilt man in solche, wo
die Begründer sich selbst dauernd niederlassen (Siedlungskolonien), und solche, in
denen man sich zwar nicht aufhalten, wo man aber mit seinem Kapital und durch
die Arbeitskraft anderer Leute einen Gewinn erzielen will (Wirtschaftskolonien). Die
ersteren sind auf solche Gegenden beschränkt, wo das Klima der Kolonie dem des
Mutterlandes ähnlich ist. Zu ihnen gehören die großen Stufen in der Verbreitimg
der Menschheit über den ganzen Erdboden, wie etwa die Besiedlung Europas von
Asien her oder das Vordringen der Europäer in Amerika und Australien. Die zweite
Art findet sich besonders in tropischen Gegenden, wo man Bergbau betreibt,
Pflanzungen gründet oder auch nur Handelsfaktoreien anlegt, um aus den dortigen
Erzeugnissen einen Vorteil zu erzielen. Die Arbeit läßt man dann entweder durch
Eingeborene oder durch solche Leute verrichten, die man eigens zu diesem Zwecke
einführt (Negersklaven, Kulis oder auch Verbrecher). Die persönliche Beteiligung
der Kolonisatoren erfolgt dann gewöhnlich nur dadurch, daß man die Aufsicht über
die Arbeiter ausübt oder sein Kapital in den Unternehmungen anlegt.