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1. Die Landschaften Europas - S. 324

1900 - Trier : Lintz
324 Das Russische und Rumänische Tiefland. die Seite des Bergufers. Die Landschaft ist höher gelegen als das Strom- bett des Flusses, und die ihm zugehenden Wasserrinnen haben in die Bo'den- form Abwechslung gebracht. Zuerst fuhren wir an einem Höhenzuge ent- lang, aus dem die w e i s s e n Kr e i d e f e 1 s en herausblickten, und auch als diese sich verflachten, blieb eine W e 11 e n f o r m der Landschaft noch auf einerlangen Strecke bestehen. Nicht die Landschaftsform macht die Steppe so eintönig, sondern die Kul turar mut und die geringe Besiedelung derselben, so- wie die völlige Versengung des Pflanzenkleides im Spätsommer. Wie . verbrannt liegt sie* in der Sonnenglut vor uns, alles Leben scheint erstorben. Der Luftzug findet keinen Baum und Strauch, in deren Zweigen er lispeln und säuseln kann, und nicht rauscht und murmelt ein Bach, ein Quell. Und doch sehen wir überall die Anzeichen, dass das Bild der Steppe zu andern Zeiten des Jahres ein anderes ist. Ausgetrocknete grössere und kleinere Rinn- sale, letztere in den Lössboden senkrecht eingeschnitten, erscheinen und verraten, dass hier Wasserfluten ihren Weg nahmen, und die zahlreichen Frucht- und Heuschob er, welche die nur selten erscheinenden Ortschaften umstellen, sagen uns, dass die Steppe auch den Anblick wogender Getreidefelder und Grasfluren kennt. So wird unser Geist zurückgelenkt in den Frühling, in die Zeit, wo sich das Pflanzenleben neu entfaltet, wo Gräser und Kräuter, wo die in den Erdenschos gelegte Saat ein üppiges und schnelles Wachstum beginnen. Bescheiden haben sich in die Wellenlinien der Steppe die Wohnhütten der Kosaken eingegliedert. Alle zeigen ein gleichförmiges Aussehen. Grosse Sorgfalt verrät, im Gegensatz zu den elenden Häusern in andern Teilen Russ- lands, das glatt gelegte und scharf abgeschnittene Strohdach. Unter ihm leuchten weissgetünchte Wände hervor, in denen sich nur wenige und kleine Fensteröffnungen befinden. Dicht drängen sich die Kosakenwohnungen in den Dörfern zusammen. Diese lassen selten Strassenzüge erkennen. Ein malerisches Gepräge erhalten sie durch die zahlreichen vier- und siebenflügeligen Windmühlen. Häufig liegen diese, wenn nicht kleine Hügel ihnen den Platz anweisen, in langer Reihe nebeneinander. Oft ist ihre Zahl so gross, dass sie das ganze Landschaftsbild beherrschen. So ist ein Dorf in der Nähe der Station Micbailowka von 26 Windmühlen umgeben. Wenn sie alle unter dem Hauche des Windes ihre langen Flügelarme in Bewegung setzen, so meint man fast, die ganze Steppe wolle zum Fluge sich erheben. So fehlt es der Südrussischen Steppe, trotz ihrer sonstigen Einförmigkeit und trotz ihres dürftigen Pfianzenkleides auch nicht an jener Abwechslung, die man an allem, was eigen geartet ist, zu finden glaubt. Und wenn wir das Kosakenvolk betrachten, das sich an den Stationen jedesmal beim Halten eines Eisenbahnzuges zusammenfindet, die langbärtigen, ungemein kriegerisch aussehenden Männer, die trotz der Gluthitze ihren Körper in lange Röcke ge- steckt haben, und in deren Gurt die nie fehlende Dolchklinge steckt, die Frauen, die schreiend bunte Kleider tragen, den Kosakenoffizier, der keck die Passagiere mustert, und wenn wir ferner die Leute in ihren Lebensgewohn- heiten beobachten, wie sie den Sonnenblumensamen mit den Zähnen ge- schickt entschalen, um den Kern zu naschen, wie andere an grossen Scheiben Melonen den Durst zu löschen suchen, wie halbwüchsige Burschen auch den Reisenden solche Erfrischung und allerlei Obst zum Kauf anbieten, so begreiit man die Spannung, in der uns auch eine fast zweitägige Fahrt durch die Steppe bis zum Ende hin zu erhalten vermochte. Inzwischen senkt sich die Sonne, die während des Tages ihre sengenden Strahlen aussandte und die Steppenluft zum Zittern brachte, immer tiefer am Horizont. Mit einem herrlichen Abend- rot, welches sowohl den dunklen Steppenboden färbt, als auch das lichte Gewölk am Himmel feurig aufflammen lässt, als wenn ein riesiger Feuerbrand die ganze Steppenlandschaft verzehrte, geht sie unter, und die Schatten der Nacht senken sich hernieder. Weithin ist in der Steppe, die sich jetzt fast tischeben, unbegrenzt wie das weite Meer, vor uns ausbreitet, jedes Liebt sicht- bar. Ein heller Lichtkranz ¿eigt sich am fernen Horizont, in unbegreiflicher Klarheit erscheint jeder Lichtstern. Wir nähern uns dem Lichte, und doch bleibt es immer gleich fern. Wir schauen es fast eine Stunde lang, also auf einer
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