1899 -
Leipzig
: Degener
- Autor: Steckel, Ernst
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Regionen (OPAC): Sachsen (Provinz)
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte, Sachsen
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Ii. Die Naturschönheiten des Harzes und ihr Einfluß auf Besiedelnng.
Die landschaftliche Schönheit einer Gegend wird bedingt durch angemessenen Wechsel von
Wald und Wasser, sowie durch scharf ausgeprägte senkrechte Gliederung. Je mehr die ruhenden
und festen Formen 'der Berge und Thäler, welche den Eindruck des Unvergänglichen und Er-
habenen machen, sich verbinden mit den Sinnbildern des Vergänglichen (cf. Ps. 90,) aber auch des
Lebens, um so mehr wird das so lebendig gewordene Landschaftsbild auf Sinn und Gemüt ein-
wirken und der Mensch sich zu ihm hingezogen fühlen.
Die schönsten Landschaften des Harzes finden wir darum au dem steilen Nordrande, wo
die festen Formen in ihrer gewaltigen Größe und Abwechselung das Erhabene, zugleich aber auch
Furchtbare zeigen und damit den Menschen bedrücken, zugleich aber auch seine Seele erheben,
während das wogende Gemiit wiederum beruhigt wird durch den murmelnden, munter dahin
fließenden Bach und den friedlich säuselnden Wald, und dieses so herbeigeführte Gleichmaß der
Gemütsstimmung nach eben vorhergegangener Gemütserregung ist es, was Befriedigung gewährt
und so den Eindruck der landschaftlichen Schönheit hervorruft. *)
1. Die Thäler der Wipper und Eine mit Umgebung, (es. S. 56!)
Beide Thäler sind, wie alle Thäler des Harzes, durch Erosion entstandene Einschnitte
mit stachen Böschungen, die meist mit Laub- oder Fichtenwald bestanden sind; die
Thalsohlen haben grüne Wiesen mit kräuterreichem Gras und klares, schönes Wasser.
Die Wipper, welche ihren Ursprung am Auerberge hat, durchfließt etwa bis Leim-
bach ein anmutiges Thal. Die beiden wichtigsten Punkte, welche auf landschaftliche
Schönheit Anspruch erheben, sind Wippra und Rammelburg. Der Marktflecken
Wippra ist ein stiller, angenehmer Ort für ruhebedürftige Sommerfrischler ge-
worden. Über dem Orte sind die Ruinenreste des alten Schlosses der früheren
Grafen von Wippra. Auf schönen Waldwegen erreicht man von hier aus in
südwestlicher Richtung das Schloß und die Ruinen von Mornngen. In östlicher
Richtung führt ein angenehmer Weg über Friesdorf (Teppichfabrik) nach Schloß
Rammelburg mit schönem Blick nach dem Wipperthale. In Rammelburg wurde
der verdienstvolle Forstmann Pfeil 1783 geboren, der Gründer der Eberswalder
Forstakademie, dem in der Nähe des Bodethales ein schönes Denkmal errichtet
ist. (cf. Hey, Ein Erzieher des deutschen Waldes.)
Die Eiue entspringt auf der Hochfläche von Harzgerode. Sie empfängt
links die an der Leinemühle vorüber fließende Leine und tritt bei Aschersleben
in die Ebene. Südlich von der Leinemühle liegt das Dorf Molmerswende, wo
am 31. Dezember 1747 der Balladendichter Bürger geboren wurde; nördlich davon
befindet sich das Dorf Pansfelde. Bei Harkerode steht rechts von der Eine
die Ruine Arnstein, eine der schönsten Ruinen des Vorharzes. Nach der Sage
irrt der grausamste der Grafen, die diese Burg bewohnten, Graf Hoyer von Mans-
seld, mit seinem ränkesüchtigen Weibe, letztere als „ewige Spinnerin", in den
Ruinen uucher.**)
*) Die waldlosen Canons des Colorado in Nordamerika sind großartig, aber nicht schön zu
nennen, weil das beruhigende Element des Waldes fehlt; fehlen dagegen in der Landschaft die
großartigen festen Formen, so wirken nur die beruhigenden Elemente, die Erregung des Gemütes
fehlt; wir bezeichnen die Landschaft mit dem Attribut „lieblich".
**) cf. Marie Kutschmann, „Im Zauberbann des Harzgebirges"; Verlag von Flemming,
Glogau.