1899 -
Leipzig
: Degener
- Autor: Steckel, Ernst
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Regionen (OPAC): Sachsen (Provinz)
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte, Sachsen
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Erbo.*) Daraus entstand der Name Erfurt. Diese Stadt verdankt ihre Bedeutung der Lage
im Herzen Thüringens in der Mitte der südthüringischen Handelsstraße an der Stelle^, wo nicht
nur von Ost nach West, sondern auch von Nord nach Siid durch die Gera natürliche Straßenzüge
vorgezeichnet waren. Diese günstige Lage an Verkehrs- und Heeresstraßen sichert Ersnrt den Vor-
rang unter den Nachbarstädten Thüringens.
Erfurts Geschichte. Schon Bonifatius fand hier eine befestigte Niederlassung der Thüringer
vor. Derselbe gründete ein Bistum, welches mit dem Mainzer vereinigt wurde. Zur Zeit Karls
des Großen war der Ort ein wichtiger Handelsplatz, der namentlich im 13. Jahrhundert zu hoher
Blüte gelangte; von hervorragender Bedeutung war der Waidhandel bis zum 17. Jahrhundert,
in welcher Zeit die Einführung des Jndigos den Airbau der für die Blaufärberei einst so wich-
tigen Waidpflanze zum Erliegen brachte. Die große Verkehrsstraße war die Veranlassung, daß
Heeresmassen durch diese Gegenden zogen, hier zusammentrafen und Fürsten ihre Zusammenkünfte
in Erfurt abhielten. So hielt Heinrich I. 936 hier seinen letzten Reichstag. 1181 war hier
der denkwürdige Reichstag, ans welchem sich Herzog Heinrich der Löwe von Sachsen dem Kaiser-
Friedrich l. unterwarf. Im Jahre 1289 hielt Rndolf von Habsburg in Erfurt einen Reichstag,
um dem Faustrecht jm. Thüringen zu steuern. So kam diese Stadt zu Reichtum und Ansehen.
Im 14. Jahrhundert war sie so wohlhabend, daß sie aus eigenen Mitteln eine Universität gründen
konnte (1378—92), welche bald eine der berühmtesten und besuchtesten Stätten der Wissenschaft
ward; auch Martin Luther besuchte sie. Die religiösen Kriege des 16. und 17. Jahrhunderts,
unter denen Erfurt viel zu leiden hatte, bedingten den Rückgang der Stadt. Im Anfange des
19. Jahrhunderts wurde Erfurt preußisch. Bis 1874 war die Stadt in ihrer Weiterentwickelung
durch die alte Umwallnng gehindert. Seit jener Zeit aber, in welcher die Befestigungswerke fielen,
hat die Stadt gewaltig an Umfang zugenommen, so daß ihre Einwohnerzahl 1885 schon 58 400
und 1895: 78 200 betrug; somit ist jetzt Erfurt hart an die Grenze der Großstädte herangerückt.
Erfurts Sehenswürdigkeiten: Das äußere Ansehen mit den vielen Türmen und Türm-
chen, die von dem Dome und der Severikirche überragt werden, und den 2 ehemaligen Eitadellen
ist durchaus mittelalterlich und imposant. Diese beiden Eitadellen, noch jetzt hervorstechende Punkte,
sind der dicht am Dome liegende Petersberg und die höhäe, vou der Stadt entferntere Eyriaks-
bnrg (ehemals ein Kloster). Das merkwürdigste Gebäude und die erste Zierde der Stadt ist der
Dom, die katholische Hauptkirche, die sich unweit des Petersberges neben der kath. Severikirche
erhebt (s. Abbildung); zu beiden Kirchen steigt man vom schönen Friedrich-Wilhelmsplatze ans 48
breiten, steinernen Stufen hinauf, von denen der frühere Name des Platzes „Vor den Graden"
(Stufen) herrührt. Der schönste Teil des Domes ist der im 14. Jahrhundert gebaute Chor. Kein
Pfeiler trägt das große, hohe Gewölbe. Auf dem sehr starken Turme des Domes, welcher um
den Anfang des 13. Jahrhunderts erbaut wurde, befindet sich die berühmte große Glocke (Maria
gloriosa), eine der größten in Deutschland, 9,5 m im Umfang haltend, 3 m hoch, 15 cm dick und
mit dem 11 Etr. schweren Klöppel und dem übrigen Eisenwerk 300 Etr. wiegend. Das Innere
des Domes ist geschmackvoll und würdig. Zugleich erinnert derselbe lebhast an den Apostel Deutsch-
lauds, der an seiner Stelle das christliche Heilszeichen des Kreuzes aufpflanzte. Noch wird hier
am Sonntag nach dem 5. Juni sein Todestag feierlich begangen, und die Kirche rühmt sich, die
Leiber zweier Heiligen, Eobanus und Adelarius, die mit Bonifatius bei Dokkum den Märtyrertod
starben, zu besitzen. Auf dem Friedrich-Wilhelmsplatze steht ein großer Obelisk mit Medaillon zum
Andenken an den letzten Kurfürsten von Mainz, Friedrich Karl Joseph von Erthal. Evangelische
Kirchen sind die Predigerkirche, die Augustinerkirche bei dem ehemaligen Augustinerkloster, in das
sich Luther aus der Angst der Welt 1505 begab. Unter dem Namen Martinsstift ist letzteres jetzt
ein Waisenhaus. Luthers Zelle ist im alten Zustande erhalten. Man sieht hier seinen Tisch und
<-tuhl, sein Reiseschreibzeug, eine Bibel mit handschriftlichen Bemerkungen von Luther und Me-
lanchthon. Unter den übrigen Gebäuden verdienen das Regierungsgebände, das neue Rathaus,
die Wage oder das Kaufhaus je., sowie Kasernen und andere militärische Gebäude Beachtung.
Erfurt ist der Sitz der Regierung, eines laudrätlichen Amts für den Landkreis Erfurt, eiues Amts-
und Landgerichts ?e. Hier befinden sich viele gute Schulanstalten, Fabriken in Woll-, Baumivoll-,
und Strumpfwaren nebst Spinnereien, Eisengießereien und Maschinenfabriken, eine kaiserliche Ge-
Wehrfabrik ze.
*) Vielleicht an der Furtmühle, die heute mitten in Erfurt liegt. — Der Name Erfurt kauu
anch unter Wegfall des „G" aus Gerfurt entstanden sein — Furt an der Gera.