1906 -
Breslau
: Hirt
- Autor: Jecht, Richard, Stutzer, Emil, Kühn, Albin, Zeitzschel, Emil, Wetzold, Alwin, Schmidt, Oswald
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Regionen (OPAC): Görlitz
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
G6
4. Abschnitt. Bewohner.
§ 137—139.
Die ganze Macht lag nun inden Händen einer Vereinigung von 19 Männern^
bestehend aus einem Bürgermeister (magister civium), sieben Schoppen und elf
Ratmannen. Diese letzten, unter denen auch drei Vertreter der Handwerker
waren, nahmen die unterste Stufe ein, aus ihnen ergänzten sich die Schoppen,
und aus diesen wurde der Bürgermeister gewählt. Jedes Jahr, zuerst am
28. September, seit 1476 am 1. September, fand Rats kür statt. Dabei wechselte
stets der Bürgermeister; die anderen Mitglieder blieben in ihren Stellungen,
wenn nicht etwa Tod oder sonstige dringende Gründe eine neue Wahl nötig
machten. Diese geschah stets von den: Kollegium selbst, das sich also selbst
ergänzte.
§ J37. Der Bürgermeister hatte die Leitung der ganzen Verwaltung.
Vor allem stand ihm die Entscheidung in politischen Fragen zu, Verhandlung
mit dem Landesherrn, die Aufsicht über die Waffenvorräte, über die etwa an-
geworbenen Truppen, über Steuern, Handwerke, Diener, Märkte, Zölle, Gerichts-
wesen, Briefschaften usw. Ihm zur Seite stand unmittelbar der Stadtschreiber.
Die Schöppen, von denen die meisten entweder schon Bürgermeister gewesen
waren oder es doch wurden, daun auch in zweiter Linie die Ratmannen unter-
stützten den Bürgermeister.
§ 188. Die Schoppen waren natürlich, wie schon ihr Name besagt, auch
Gerichtsherren. Als solche übten sie eine schier unbegrenzte Macht aus. Zunächst
waren sie die Behörde für die sogenannte freiwillige Gerichtsbarkeit,
ö. h. sie nahmen Testamente, Verkäufe, Geldverleihtingen, Verträge u. dgl.
auf und schrieben sie in die Stadtbücher. Dann urteilten sie in bürgerlichen
Streitigkeiten. Viel wichtiger aber ist, daß sie die Gerichtsbarkeit über
Hals und Kopf nicht bloß in den Mauern der Stadt, sondern in dem großen
Görlitzer Weichbilde, das etwa 250 Dörfer umfaßte, besaßen. Diese Befugnis
übten sie zwar im Namen des Königs ans, aber in Wirklichkeit war es ein
Gericht der Stadt, dem Adlige, Bauern und Bürger unterlagen und wogegen
es keine Berufung gab. Die Strenge des Görlitzer Gerichts war berühmt
und berüchtigt; durch sie stieg natürlich das Ansehen der Stadt, aber auch die
Furcht vor ihr außerordentlich. Daß Ausschreitungen in der Handhabung dieses
ungeheuerlichen Rechtes, bei der man den Vorteil der Stadt natürlich nicht
vergaß, vorgekommen sind, ist sicher. Diese haben denn auch zum guten Teil
den Pönfall (siehe § 129) herbeigeführt, infolgedessen Görlitz den Blutbann
über das Land verlor.
Solches Wirken einer so mächtigen Behörde setzt eine emsige und vorwärts
strebende Bewohnerschaft voraus.
c) Einwohner.
§ 139, Die „Bürger", die in anderen Städten „Geschlechter" heißen,
waren vor allem im Großhandel tütig. Auf diesen Erwerbszweig Haupt-
sächlich ward ja die Stadt ehedem gegründet (siehe § 118). Es war vornehmlich
Zwischenhandel, der die Erzeugnisse des Westens in die östlichen Länder
brachte. Man besuchte vou Görlitz aus die „Märkte" zu Leipzig, Frankfurt
a. d. O., Magdeburg, Breslau, Krakau, Thorn, Posen, Stettin und anderwärts.
Ungeheure Züge vou Frachtwagen fuhren auf der „Hoheit Landstraße" nach
Löbau, Bautzen, Kamenz, Königsbrück, Großenhain und weiter durch Sachsen