1906 -
Breslau
: Hirt
- Autor: Jecht, Richard, Stutzer, Emil, Kühn, Albin, Zeitzschel, Emil, Wetzold, Alwin, Schmidt, Oswald
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Regionen (OPAC): Görlitz
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
§ 140-
A. Geschichtlicher Überblick.
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nach Thüringen, desgleichen nach Liegnitz, Breslan usw.; aber auch Prag,
Kuttenberg, die niederlausitzischen und brandenburgischen Städte wurden aus-
gesucht. Sehr wichtig war, daß Görlitz vom Beginn des 14. bis Ende des 15. Jahr-
Hunderts den Waid stapel sür die Oberlausitz und Schlesien besaß: diebedeutende
schlesische Tuchindustrie mußte also das unentbehrliche Färbemittel der damaligen
Zeit, die den Indigo noch nicht kannte, aus Görlitz beziehen. Außerdem wareu
Haupthandelsartikel Heringe, die man zum Teil auf eigenen Schiffen von
Stettin die Oder aufwärts bis Frankfurt führte, dort auf Wagen verlud und
auf der alten Handelsstraße Frankfurt-Görlitz-Prag fortschaffte; ferner Tuch,
das bis in die Türkei vertrieben wurde, Getreide, Honig und Wachs, das
die großen Heiden nördlich von Görlitz lieferten, Silber (Görlitz hatte eine
eigene Münze), Gewürze, vornehmlich Salz, Hopfen, Wein, Kupfer, Alaun,
Schwefel, Leder, Vieh, Fische u. dgl. In den Händen der tonangebenden
Bürger allein lag auch das Recht zum Brauen, das an sogenannte „Brau-
Höfe" gebunden war. Alle Bewohner in der Umgebung von Görlitz
durften ihr Bier nur aus der Stadt beziehen, und da im Mittelalter Brannt-
wein noch nicht als Genußmittel im Gebrauche, der Durst aber mindestens
ebenso groß wie heute war, so wurden ganz unglaubliche Mengen Bieres
verbraucht und demgemäß von den Brauherren ungeheure Summen Geldes verdient.
Kein Wunder also, daß in den oberen Kreisen des mittelalterlichen Görlitz
großer Wohlstand herrschte, ein größerer ohne Zweifel als heutzutage.
Leute, die so begütert waren, wie im 15. und 16. Jahrhundert Georg Emmerich
und Haus Frenzel, hat Görlitz nicht wieder gesehen. Nun pflegten seit alter
Zeit die reichen Kaufleute ihr erworbenes Geld in sehr zweckmäßiger Weise
zum Ankauf von Landgütern zu verwenden. So umgab denn bald die Stadt
ein weiter Kreis von Landgütern, die einesteils Bürgern, andernteils der
Gemeinde selbst gehörten.*) Die heutigen „Landsassen-" oder „Stadtmitleiden-
schafts-Güter" (die mit der Stadt „mitzuleiden", d. h. zu steuern hatten) schreiben
sich daher. — Zu beachten ist, daß das Vorrecht der Kaufleute, Großhandel
und Brauerei, nur auf das Vermögen sich gründete. Ihre Zahl war keines-
ivegs fest bestimmt und beschränkt oder von Erbschaft abhängig; auch der
Handwerksmann, wenn er genügendes Vermögen hatte, konnte in sie eintreten,
fein Handwerk mußte er dann freilich aufgeben.
§ 140. Die Handwerker machten den zweiten Hauptteil der Bewohnerschaft
ans. Von den eigentlichen Bürgern streng geschieden, hatten sie sich hauptsächlich
behufs genossenschaftlichen Betriebes zu Zünften oder Innungen zusammengetan.
Die Innung (sprachlich dasselbe wie Einung) ist eine Verbindung mehrerer,
die mittels Aufstellung gewsim alle Genossen verpflichtenden Bestimmungen
einen gemeinsamen Zweck verfolgen. Die Fürsorge der Innung erstreckte sich auf
alle Männer und Frauen, und zwar vom Eintritt in die Genossenschaft bis zum Tode.
Meister, Lehrlinge, Geschäftsbetrieb, Verdienst, Polizei, Geselligkeit, kirchliches
Wesen, Beerdigung — dies alles unterstand ihrer Aufsicht und Obhut. Natur-
gemäß war die Folge ein überaus enges Zusammenhalten, ein übertriebener
Sondergeist, der sich anderen Zünften gegenüber oft als schroffe Selbstsucht,
*) Die Stadt Görlitz (abgesehen vom Hospital) hat jetzt folgende Güter in
Besitz: Penzig mit der Heide (seit 1491), Hennersdorf, Ober- und Niederlangenau,
Lauterbach, Obersohra, Kunnerwitz, Penzighammer, Niedermoys.