1892 -
Breslau
: Hirt
- Autor: Kramer, R.
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Regionen (OPAC): Westfalen
Dortmund und die heilige Feme. 21
4. Dortmund und die heilige Feme.
1. Dortmund war ehemals nicht nur eine freie Reichsstadt,
sondern auch ein, Glied des mächtigen Städtebundes, der Hansa ge-
nannt wurde. Öfter weilten die deutschen Kaiser in der altehr-
würdigen Stadt. Besonders festlich ging es her, als im Jahre
1377 Karl Iv. drei Tage lang hier Hof hielt. An der Grenze
des Stadtgebietes empfing ihn der Magistrat mit den Reitern und
Armbrustschützen der Stadt; an einem weißen Stabe wurden die
Schlüssel der Thore vorgetragen und dem Kaiser überreicht. Als
Karl unter Glockenklang, unter Zinken-, Kesseltrommeln-, Geigen-
und Pfeifenspiel in die Stadt einritt, führten die zwei Bürger-
meister in voller Rüstung sein Roß am Zügel; vier Ratsherren
trugen den Baldachin über ihm. Voran ritt der Herzog von Sachsen-
Lüneburg als Marschall mit dem Schwerte; im langen Zuge wurde
der silberne Schrein mit den Gebeinen des heiligen Reinhold ge-
tragen, umringt von Schülern mit grünen Kränzen. Auf der Haupt-
straße, „die rein gefegt war", standen rechts die Männer, links die
Weiber der Stadt in ihren besten Kleidern. Der Kaiser wohnte
im Hofe Johanns von Wickede, des Patriziers (Angehöriger eines
vornehmen Geschlechtes), der mit dem Rechte begnadet wurde, kaiser-
licher Majestät den Steigbügel zu halten. Die Ehre so hohen
Besuchs hätte die Stadt aber bald teuer büßen müßen; denn
es begab sich, daß des Reiches Marschall vor dem Einzüge des
Kaisers das Stadtthor nicht hoch und breit, die Straßen nicht weit
genug.fand, um feine Lanze querdurch zu führen. Schon wollte
er alles niederreißen lassen, so wie ihm in solchem Falle zukomme,
und nur für eiue bedeutende Geldsumme hielt er den Befehl zurück.
Auf der Nordseite der Stadt Dortmund, in der Nähe des
Bahnhofes steht die Femlinde, unter welcher sich ein alter Steintisch
mit dem Reichsadler befindet. Hier war zur Zeit des Mittelalters
eine der bedeutendsten Gerichtsstätten der Feme. Das Wort „Feme"
ist uralt; es bedeutet Genossenschaft und kommt als Bezeichnung
des Gerichtes im Jahre 1227 vor. Die Feme, welche ihre
höchste Blüte im 15. Jahrhundert erreicht haben mag, richtete
über Raub, Mord, Zauberei und Ketzerei. Das Gericht hieß Frei-
gericht, der Gerichtssprengel Freigrafschaft, der Vorsitzende Freigraf,
die Beisitzenden Freischöffen oder Wissende. Der angesehenste Frei-
stuhl oder Gerichtsort war eben in Dortmund. Alle Freistühle
eines Landes standen unter dem Stuhlherrn, der gewöhnlich der
Landesherr selbst war. Oberster Stuhlherr nächst dem Kaiser
war der Erzbischof von Köln als Herzog von Westfalen; denn
in Westfalen auf „roter Erde," war der Ursprung und Haupt-
sitz der Femgerichte. Der Freigraf wurde von dem Stuhlherrn,
die Wissenden (d. i. die das Urteil Weisenden, Sprechenden) oder
Freischöffen von den Femgenossen selbst gewählt. Freischöffe (Richter)
konnte später jeder freie deutsche Manu vou gutem Rufe werden.