1896 -
Leipzig
: Wunderlich
- Autor: Tischendorf, Julius
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Ii. Was bietet die Reise.
1. Der Aufstieg. Denkt euch, wir bestiegen wohl ausgerüstet in
Lima (Zeige und bestimme die Lage!) unsere Pferde. Langsam reiten
wir durch die langen und breiten Straßen der Stadt, vorüber an zahl-
reichen Kirchen und Klöstern, Läden und Magazinen, Gasthäusern und
Schenken und betrachten das bunte Leben. Equipagen mit gold- und
silberbetreßten Dienern, fein gepichte Damen und Herren, berittene Poli-
zeisoldaten. würdig einherschreitende Priester schaut unser Auge, bis wir
die Stadtthore hinter uns haben. Kaum aber sind wir nur fünf Mi-
nuten von der Stadt entfernt, so ist alles wie umgewandelt. Die breite
Straße verengt sich mehr und mehr und bald ist sie zu einem elenden
Pfade geworden, der sich mühsam durch steinigte Schluchten hinzieht.
Immer enger, tiefer, öder werden diese Schluchten, die von roten Felsen
umschlossen sind. Die Sonne, welche senkrecht auf den feinen Sand
niederscheint, der gleich einem Spiegel die Strahlen zurückwirft, macht
bei Tage die Schlucht zu einem wahren Glühofen. Mitten unter den
Steinen wachsen nur armselige Kaktuspflanzen, kein Vogel, kein Insekt
läßt sich sehen. Alles hat diesen dürren, glühenden Boden verlassen.
Zuweileu stoßen wir ans die Überreste von Maultieren, die hier unter
der schweren Last, die sie zu tragen hatten, vor Hitze oder Anstrengung
umgekommen sind und deren bleichende Gebeine uns gleichsam als Weg-
weiser dienen. — Immer höher hinauf geht der Weg. Manchmal führt
er so nahe am Abgrunde hin, daß nur ein Maultier hinter dem andern
hergehen kann und ein einziger Fehltritt uns in die gräßliche Tiefe
hinabschleudern würde. Zuweilen erreichen wir eine Höhe, von der aus
wir Umschau halten können, aber wir sehen nur Schluchten, die gleich
ungeheuren Rissen durch einanderziehen und in der Ferne ein Nebelmeer,
aus dem hier und da nackte, dürre Ketten herausschauen. — Unter solchen
Anstrengungen verfließen die ersten Tage unserer Reise nach den Cor-
dilleren, bis wir endlich am Fuße ihrer Gipfel ankommen. Wir halten
in einer armseligen Jndianerhütte eine kurze Nachtruhe und brechen schon
kurz nach Mitternacht wieder auf, um das Gebirge zu überschreiten.
Eine empfindliche Kälte herrscht auf dem Gebirge, und wir können uns
auch nicht durch schnelle Bewegung erwärmen, denn des schwierigen
Weges halber können wir nur langsam vorrücken. Wir würden ja über-
Haupt nicht reisen können, wenn nicht ein prächtiger Mondschein uns
begünstigte und mit mildem Schimmer uns die Wildnis erhellte. Wir
haben in Europa keine Nächte, die sich an Klarheit und Reinheit des
Himmels mit diesen prachtvollen Nächten in den Cordilleren vergleichen
ließen, wo Tausende vou Sternen selbst dann aus der Nacht eine wunder-
same Dämmerung machen, wenn der Mond nicht am Himmel steht.
Schweigend setzen wir unseren Weg fort. Manchmal sehen wir in der
Tiefe einer Schlucht den weißen Schaum eines Waldstromes über Felsen
Tischendorf, Fremde Erdteile. 2