1896 -
Leipzig
: Wunderlich
- Autor: Tischendorf, Julius
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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gesicht. „Herab von den Pferden! Zwei mögen sie festhalten! Die an-
dern streifen ihre Hemden ab! Schnell!" Unwillkürlich gehorchten alle.
Gabriel zündete ein Stück Zunder auf der Pfanne seines Gewehres an,
und bald loderte aus Hemden und Tüchern, verdorrtem Prairiegras und
Büffeldünger ein mächtiges Feuer empor, emsig geschürt und verstärkt
durch neu hinzngetragene Haufen dürren Grases.
Ein Beben der Erde, als ob sie in ihren Grundvesten wanke, ein
Angstgeheul, ein Gebrüll der Wut und des Schmerzes verkündet das
Anrücken der schrecklichen Tiermassen. Schon konnten wir ihre Hörner,
ihre Füße unterscheiden — das Feuer war im Erlöschen, die Flammen
sanken zusammen. Ta schleuderte Gabriel im Augenblicke der höchsten
Gefahr eine Flasche mit Branntwein in die Glut. Sie zerplatzte, und
zurück prallten die zottigen Teufel vor den aufschießenden Blitzen der
scharfen, blauen Feuersäule, und Hunderten derselben brachten die Stockung
des Zurückprallens den Tod. Ringsum sahen wir nichts als die zottigen
Nuhnen der plumpen Ungeheuer. Kein Spalt war in den fliehenden
Abasien bemerklich, außer der schmalen Linie, die sich geöffnet hatte, das
Feuer zu meiden.
Die Sekunden, während welcher die Tierhaufen rechts und links vor-
überflogen, wurden zu martervollen Stunden, bis endlich die Massen
dünner und dünner sich gestalteten. Zuletzt waren wir nur noch von den
schwereren und erschöpfteren Tieren des Nachtrabs umgeben. Die erste
Gefahr war vorüber, aber eine andere, ebenso große nahte heran. Die
ganze Prairie stand in Flammen, und die zischenden Fluten des Feners
rückten mit furchtbarer Schnelligkeit auf uns los. Die Pferde hatten wie-
der einigen Atem gewonnen, darum stiegen wir frisch in die Sättel! Und
gejagt von der Todesangst, rasten Rosse und Reiter den Büffeln nach,
denn Eile war Leben. Da bemerkten wir vor uns eine Schlucht, in
welcher die Tiere zu Tausenden sich stürzten. Der Abgrund mußte uns
retten oder begraben. Wir sprangen hinab und erreichten turmtief den
Boden, zur Besinnung gekommen, fühlten wir nns unverletzt. —
Wir waren gerettet. Unser Fall brach sich an der ungeheuren
Masse von Tieren, auf den Tausenden von Leichnamen, die eine Sekunde
vorher den Sprung über den Abgrund aus Furcht vor dem Feuer oder
gedrängt von den nachstürzenden Masfen gemacht und dabei Hals und
Beine gebrochen hatten, so daß ihre Leiber wie Kissen uns aufnahmen.
Wir wanden uns aus der Unmasse tierischer Leichname heraus, ge-
wannen eine Strecke weiter unten einen freien Platz, auf dem wir aus-
rühren und Gott dankten für die wunderbare Rettung.
Roch so manches erzählt uns unser Führer von dem Leben und
den Gefahren in der Prairie, bis endlich sein gastliches Haus uns wiede-
rum aufgenommen hat. Ermüdet von den Anstrengungen des Tages
legen wie uns zu erquickendem Schlafe nieder und träumen von der
weiten Prairie und ihren Bewohnern.