1896 -
Leipzig
: Wunderlich
- Autor: Tischendorf, Julius
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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sonstige Blasinstrumente ertönten überall. Hier tanzten Weiber und
Männer in gesonderten Reihen beim Schalle der Musik gegeneinander,
dort wieder tanzte eine Schaar Mädchen und Frauen allein, Hand in
Hand iu langer Reihe sich durch die Menge windend, mit heller Stimme
singend, eine Flötenbläferin voraus. Hoch über den Häuptern der
Menge sah man ein Gerüst emporragen. Es war auf einem niedrigen,
stark gebauten Karren befestigt und bestand aus einem ungefähr 5 in
hohen Pfahl, aus deffen oberen Ende zwei kreuzweis übereinander liegende
Balken horizontal (Zeichnen!) so angebracht waren, daß sie gedreht werden
konnten. An jeden? der vier Enden der beiden Balken war an zwei
durch das Fleisch des Rückens geschlagenen eisernen Haken ein lebendiger
Mensch ungefähr so aufgehängt, wie unsere Fleischer ein geschlachtetes
Tier aufzuhängen pflegen. Diese Männer hatten sich freiwillig in diese
Stellung begeben und ließen sich zu Ehren Schiwas unter dem Zuruf
des Volkes und dem Getöse der Tamtam an dem beweglichen Kreuze
hin und herdrehen, daß das Blut am Körper herabrieselte. Von Zeit
zu Zeit fuhr man den Wagen an eine andere Stelle, damit ja jeder
das widerwärtige Schauspiel genau betrachten konnte.
Gegen Mittag, als die Sonne glühenden Brand niedersandte,
(25° R, int Schatten) ging das Fest zu Ende. Der größte Teil der
Menge verlief sich, nur eiue Schar Weiber tanzte unermüdlich ihren
Ringeltanz im Schatten großer Bäume weiter.
4. Viele Tiere genießen göttliche Verehrung. Besonders erfreuen
sich die Ochsen und Affen großen Ansehens. In jeder indischen Stadt,
insbesondere aber wieder iu Benares, kann man sich davon täglich und
stündlich überzeugen. So schreibt ein Reisender von Benares: Eine
Unsumme vou Stieren jeden Alters, dabei zahm wie die Hnnde, spazieren
stolz und genügsam mit der Miene des Herrn umher oder versperren
dir, quer über die Gasse gelagert, den Weg. Viele Menschen gewahrst
du, welche knieend diese Bestien mit Blumen schmücken und sich ehrer-
bietig zu ihnen herabneigen. Wehe dir, wenn es dir einfiele, durch einen
derben Stoß dir den nötigen Platz zum Vorübergehen zu verschaffen!
Das gemeine Volk würde dich zerreißen.
Hat deine Geduld dies überwunden und betrittst du durch eine
nene Pforte einen andern Stadtteil, so beginnt damit eine noch härtere
Prüfung. Die Ochsen sind zwar verschwunden, aber an ihrer Stelle
springen und klettern eine unzählige Menge Affen, lauter Weibchen, einem
indischen Gotte geweiht. Sie klettern von Dach zu Dach, von Fenster
zu Fenster, und vor ihren zerzausenden und mausenden Krallen ist nichts
sicher. Keinen Augenblick lassen sie dich in Ruhe, nehmen dir die Kopf-
bedeckung oder springen dir aus die Schulter. Dort, hinter den Ver-
zierungen eines Daches versteckt, langen sie hervor und rupfen dich oder
greifen ungestraft in die Bärte der Obsthändler und Zuckerbäcker, reißen
den Kindern das Brot vom Munde und klettern an ihnen herauf.