1896 -
Leipzig
: Wunderlich
- Autor: Tischendorf, Julius
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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ist ein Haustier, dessen Zucht die Tungusen große Aufmerksamkeit schenken,
weil es ihnen wie den Lappen beinahe alle Lebensbedürfnisse liefert.
Die Kamtschadalen sind kleine, kurzbeinige Leute mit langem,
schwarzen Haar und breitem, platten Gesicht. Sie kleiden sich in Felle
und nähren sich im Winter von der Jagd, im Sommer vom Fischsang.
Nichtsthun ist ihr höchstes Glück. Sie leben so in Sorglosigkeit dah in
daß sie oft ganz vergessen, im Sommer einen Fischvorrat für den Win'er
zu sammeln. Die meisten Fische essen sie roh und beißen sie gleich nach
dem Fange an. Die Hnnde, ihre einzigen Haustiere, erhalten die Gräten.
Im Winter spannen sie die Hunde vor den Schlitten, und auf den viel-
fach eingerichteten Hundeposten fährt man an einem Tage wohl 150 km
weit. Die Wohnungen, früher „Jurten," in welche man durch den
Schornstein hineinkroch, gleichen jetzt kleinen Blockhäusern, in denen die
größte Reinlichkeit herrscht. Die Stube ist überall, an Decke, Wand und
Fußboden, mit schneeweißen Birkendielen bekleidet. Vor den Fenstern
findet man sogar Kattunvorhänge, und an den Wänden zuweilen auch
kleine Bilder. Die Hausthür ist jedoch so uiedrig, daß der Fremde sörm-
lich hineinkriechen muß, während der Eingeborne mittels einer scharfen
Rückenkrümmung sich geschickt hindurchwindet. In der Mitte des Dorfes
stellt eine kleine Kirche; denn die Kamtschadalen sind getaufte Christen.
Dennoch leben sie in großer Unwissenheit und sinsterm Aberglauben dahin.
2. Außerdem wohnen in den Stromthälern, in der Nähe der
Erzlager und an der chinesischen Grenze noch zahlreiche Russen, die
das Land anbauen, Bergbau treiben, oder den Handel mit China
und deu Jägervölkern (Pelztiere!) vermitteln. Diese Russen sind meist
Verbannte oder Nachkommen von Verbannten. Seit etwa 3 Jahr-
Hunderten herrschte nämlich in Rußland der Brauch, Verbrecher nach Si-
birien zu verbannen, und noch jetzt werden jährlich 29-—30000 dorthin
gebracht. Ehe der Verbannte die Reise antritt, wird ihm seine Kleiduug
genommen und ein „Sträflingsanzug" dafür überreicht. Sein Vermögen
fällt dem Staate zu; feine Ehe ist gelöst. Doch steht es den Seinigen
frei, ihm in die Verbannung zu folgen. Die Reise wird gewöhnlich zu
Schlitten gemacht. Die gelindeste Strafe ist die Verbannung nach einer
Stadt. Hier kann sich der Sträfling nach Belieben beschäftigen und sich
eine Wohnung mieten; nur darf er eiueu gewissen Umkreis der Stadt
nicht überschreiten. Der größte Teil aller Verbrecher wird jedoch in die
Kolonieen geschickt. In Abteilungen von 10—20 Mann werden sie einem
Dorfe zugeteilt. Jeder erhält ein Stück Ackerland, Samen zur Aussaat,
Ackergeräte und einen Bauplatz in der Nähe des Dorfs. Brenn- und
Bauholz findet der Kolonist in den nahen Wäldern, und bis er seine
Hütte errichtet hat, und die erste Ernte reif ist, muß ihm die Gemeinde
Obdach und Nahrung unentgeltlich geben. Die schwersten Verbrecher
werden iu den Bergwerken beschäftigt. Sie wohnen in großen kafernen-
artigen Bauerhäusern beisammen und müssen täglich 12 Stunden in den