1896 -
Leipzig
: Wunderlich
- Autor: Tischendorf, Julius
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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der in eine — Grabkammer führt. Dies weist uns auf den Zweck der
Riesengebäude hin. Die Pyramiden sind die Begräbnisplätze der Könige
Ägyptens. Und wie kamen diese dazu, ihreu entseelten Leibern solche
gewaltige Ruhestätten aufzurichten? Die Erklärung liefert die Religion
der alten Ägypter. Diese glaubten nämlich, daß die Seele sich nicht so-
gleich nach dem Tode von ihrem Körper trenne, sondern so lange in
demselben bleibe, als er vollständig erhalten würde. Daher sorgten sie
so sehr für die Erhaltuug der Leichname. Sie baueten ihre Grabmäler
auf wüsten Berghöhen, die der austretende Nil nicht berührte, und be-
deckten sie zum Schutze gegen wilde Tiere mit einem Felsstück. So
hoch nun die Könige im Leben über ihren Mitmenschen standen, so hoch
wollten sie auch noch nach ihrem Tode in einer schönen und festen
Wohnung hervorrrageu, die das Audeuken an sie auf ewig erhalte; darum
türmten sie jene Riesendenkmäler auf. Um den toten Körper vor der
Fäulnis zu bewahreu, salbten sie ihn mit wohlriechenden Spezereien sorg-
fältig eiu. Äußerlich überzogen sie ihn mit einer härtenden, aber durch-
sichtigen Materie, und setzten ihn dann bei. Solche einbalsamierte Leich-
name nennt man Mumien. Viele haben sich bis aus deu heutigen Tag
erhalten. Ju den Altertumssälen zu Bonn, Kassel, Berlin, Dresden und
in andern Städten werden noch verschiedene vorgezeigt. Tie Haut ist
ganz schwarz und so von dem Gummi und Erdharze durchdrungen, daß
sie steinhart ist.
Ob aber jemand eines solcher Begräbnisse (Einbalsamieren n. s. w.)
würdig sei, entschied das sogenannte Totengericht. Es bestand aus
40 Totenrichtern, die zuvor deu Lebenswandel des Verstorbenen unter-
suchten und darnach entscheiden mußten. Selbst die Könige waren einem
solchen Totengericht unterworfen, und mehrere Könige sind wirklich nicht
mit den üblichen Feierlichkeiten beigesetzt worden.
Von einem solchen Totengerichte laßt euch erzählen. „Ein Be-
Herrscher Ägyptens war verschieden. Am See Möns saßen die Toten-
richter und beratschlagten, ob dem Verblichenen die Ehre des Grabes zu
teil werden sollte. Es traten unbescholtene Männer auf, um Zeuguis
abzulegen für den Toten, und was sie vorbrachten, gereichte zu seinem
Lobe. „Er hat das Vaterland durch deu Ruhm seiner Waffen ver-
herrlicht", sagte der erste. — Diesen Rnhm hat das Volk mit seinem
Blute bezahlt, sagten die Richter. — „Er hat den Künsten und Wissen-
schaften Schutz geliehen", sagte ein zweiter. — „Aber er hat den Pflug
gering geachtet", entgegneten die Richter. „Er hat sich den Namen eines
Gottesfürchtige und Leutseligen" erworben, sagte ein dritter. Da fragte
der älteste unter den Richtern: „Hieß er auch bei seinem Volke und den
Nachbarvölkern der Gerechte? Dies ist der einzige Beiname, der denen
ziemt, die gesetzt sind über die Menschen, ihre Brüder!" Die Zeugen
verstummten. Jetzt erhoben sich die Richter von ihren sitzen und
sprachen: „Ter, welcher im Lichte wohnt, hat die Seele des ^.oten.