1914 -
Leipzig
: Wunderlich
- Autor: Tischendorf, Julius
- Auflagennummer (WdK): 19
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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platz des Handels und Wandels, oft auch Stätte der Gerichtsverhand-
lnng und der Volksversammlung. Welches Tor suchen wir auf?
Jerusalem hat heute noch vier alte Tore, das Jaffa-, das Damaskus-,
das Zious- und das Misttor Wan!) Unter ihnen ist das Jaffator,
durch welches wir in die Stadt eintreten, wenn wir vom Bahnhof
kommen, das wichtigste. Hier herrscht der größte Verkehr. Fassen
wir also einmal am Jaffatore Posten, um den flutenden Lebensstrom
an uns vorübergehen zu lassen.
1. Schon früh am Morgen wird es lebendig. Da kommen die Fel-
lachen aus der Jaffa-, Hebron- und Bethlehemgegend, Männer und Frauen,
ans den beiden breiten Fahrstraßen gezogen und bringen ihre ländlichen
Erzeugnisse zur Stadt. Ihre Kleidung ist einfach. Den Mann kleidet
fein dunkelgestreifter, wasserdicht aus Kamel- und Ziegenhaar gewebter
Wollmantel, der mit den seitlichen Armöffnungen wie ein Sack über
die Schultern fällt. Er ist bei Kälte und Hitze, bei Regen und Sonnen-
schein für den Araber gleich unentbehrlich; dazu dient er als Schlaf-
decke, als Warenhülle und als Gebetsteppich. Unter ihm schaut das
lange weißliche Untergewand hervor, aus dem Ledergürtel lugt der
Dolch, und das Haupt wird vor den Sonnenstrahlen durch den schweren
Turban geschützt. Bescheidener noch kleiden sich die Frauen. Aus dem
Haupte und im Nacken das Tuch, blau oder weiß, auf dem Leib der
lange blaue Rock mit tiefem Brustausschnitt, darüber zuweilen den rot
und schwarz gestreiften Wollmantel gesteckt — das ist ihr Staat. Sie
kommen iu kleineren oder größeren Trupps vom Gebirge her und
haben schon manche Stunde Wegs hinter sich. Der eine treibt sein
Grautier, mit Gemüse beladen, vor sich her. Der andere sührt hinter
sich sein Kamel am Halsterband, er wird ein „Kamel Holz", wie man
dort sagt, in Jerusalem verkaufen; eigentlich ist es eine Ladung aus-
gerodeter Olivenbanmwurzeln. Die Frauen tragen aufrechten Ganges, die
eine Hand in die Seite gestützt, den riesigen Blumenkohl in der flachen
Mulde auf dem Haupt, den sie vor der alten Davidsburg am Straßeu-
und Mauerrande Kopf bei Kopf zum Verkauf aufmarschieren lassen.
2. Den Kommenden eilen aus der Stadt die Maurer, die Hand-
werker, die Kaufleute entgegen, die da draußen in der Neustadt an den
Bauten oder in den Werkstätten und Geschäften tätig sind. Immer
mehr belebt sich die Straße. Auch das Kaffeehaus, das dem Tore
gegenüber den abschüssigen Fahrweg nach Bethlehem einfaßt, nimmt die
ersten Gäste auf und leert sich vor dem fpäteu Abend nicht wieder. Es
ist ein armseliges Loch, für einen Europäer nicht einladend. Zu ebener
Erde liegen Speicher; Steinstufen führen von der Höhe der Jaffastraße
zu den oberen Räumen, drei offeueu, rauchgeschwärzten Gelassen, um
die eine Holzgalerie herumläuft. Hier, bei Unwetter drinnen in der
duukleu Bude, sitzen die Araber in Gruppen auf niedrigen, stroh-
geflochtenen Vierbeinen, sie spielen Karte, würfeln oder unterhalten sich
schreiend mit dem Mienenspiel und der Gebärdensprache des Orientalen