1907 -
Trier
: Stephanus
- Autor: Schiffels, Joseph
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Haft und rußig, bald auch in verschiedenen Tiergestalten, die Bewohner
der Gegend entweder beglückend oder neckend. Seine Launen sind
mannigfaltig und abwechselnd wie das Wetter im Gebirge: er straft
diejenigen oft, die ihn durch Rufen seines Namens necken und reizen;
betrügerischen Roßhändlern verkauft er ein stattliches Pferd, welches
sich nachher in einen Strohwisch verwandelt; Abenteurern wird ihr
Pferd, ohne daß sie es selbst merken, zum Stocke, auf dem sie hernach
im lächerlichsten Aufzuge durch das Dorf reiten; Armen dagegen füllt
er den Korb mit trockenem Laube, das sie keuchend fortschleppen und
nachher in Gold verwandelt sehen. Er läßt sich statt des mid^Unrecht
Verurteilten hängen, zappelt Stunden lang am Galgen, und wenn man
endlich nachsieht, findet man nur einen Strohwisch. Im höchsten Ge-
birge duldet er keiue Jagd; nicht einmal Jagdhunde darf man dahin
mitnehmen.
Seinen Namen soll der Berggeist auf folgende Weise erhalten haben: Derselbe
kam von Zeit zu Zeit aus dem Berge hervor, um zu sehen, was die Menschen
treiben. Eiumal sah er eine schöne Fürstentochter, welche ihm sehr gefiel. Mit List
suchte er sie in seine Gewalt zu bekommen. Er brachte sie in ein prächtiges Schloß
unter der Erde. So viel Schönes ihr auch der Berggeist darbot, sie wollte nicht
seine Gemahlin werden; denn sie sehnte sich nach menschlicher Gesellschaft. Da brachte
ihr der Berggeist zwölf Rüben und einen Zauberstab. Dann sprach er: „Alles, was
du dir wünschest, kannst du herbeizaubern, wenn du eine Rübe mit diesem Stäbchen
berührst." Sogleich machte die Prinzessin einen Versuch. Zuerst wünschte sie sich
ihre liebste Gespielin herbei. Sie berührte eine Rübe mit dem Stabe, und sogleich
stand die Freundin vor ihr. Voller Frende zauberte sie auch die audere herbei, und
nun war sie fröhlich. Aber da die Freundinnen eigentlich doch nur Rüben wareu,
wurden sie bald welk und starben. Da war die Prinzessin wieder betrübt und bat
den Berggeist, sie zu ihreu Eltern zurückzubringen. Das tat er aber nicht. Da er-
sann sie eine List. Sie zauberte eiu Vöglein herbei; das schickte sie mit einem Brief
an ihren Bräutigam, der ein reicher Fürstensohn war; der sollte sie nach drei Tagen
an einem bestimmten Orte erwarten. Dann stellte sie sich freundlich zu dem Berg-
geiste und sagte, sie ivolle seine Gemahlin werden, aber erst müsse er die. Rüben,
ivelche auf dem Felde stehen, richtig zählen. Dazu, meinte sie, würde der Zauberer
lange Zeit brauchen. So war es auch. Er verzählte sich oft, so daß er immer von
vorn anfangen mußte. Endlich hatte er richtig heraus, wie viel Rüben auf dem
Felde staudeu. Er eilte nach dem Schlosse; aber die Prinzessin war fort über alle
Berge. Sie hatte aus einer Rübe ein schneeweißes Roß gezaubert und war ent-
flohen. Der Zauberer schaute durch sein Zauberglas, erblickte die Prinzessin in weiter
Ferne, zog seiue Siebenmeilenstiefel an und eilte ihr nach. Aber sie war schon 1.bcr
die Grenze seines Gebietes, dahin reichte seine Macht nicht. Ärgerlich und beschämt
ging er zurück in sein Schloß; die Prinzessin aber zog mit ihrem Bräutigam zu deu
Eltern. Beim Weggehen aber rief sie dem Zauberer spottweise nach: „Rübezahl,
Rübezahl!" Und so ueuuen den Berggeist noch alle Leute bis aus deu heutigen Tag.
Einst beschloß Rübezahl, sich unter den Menschen aufzuhalten, um dieselben
keuuen zu lernen. Zuerst trat er als Knecht in die Dienste eines Landwirts und
verrichtete seine Arbeit aufs beste. Alles, was er unternahm, gelang ihm, und er
schaffte seinem Herrn großen Nutzen, so daß dieser durch ihn hätte reich werden
können. Allein der Herr war ein liederlicher Verschwender, der alles wieder durch-
brachte, was sein treuer Knecht erwarb, und der demselben für seine Dienst^ nicht
einmal dankte. Hierüber war Rübezahl ärgerlich; er ging zu einem andern Herrn,
bei dem er sich ° als Schafhirt vermietete. Tie Herde gedieh unter seiner Aufsicht
vortrefflich und mehrte sich. Kein Schas erkrankte, keines wurde von Wölfen zer-
rissen, so lange sie Rübezahl hütete. Aber sein Herr war ein Geizhals, der seinen
Knechten nicht satt zu essen gab und ihnen den ausbedungenen Lohn verkürzte, so
oft er nur konnte. Darum schied Rübezahl auch von diesem und begab sich zu einem
Amtmanne, bei dem er die Stelle eiues Gerichtsdieners übernahm. Er versah diesen