1897 -
Leipzig
: Wunderlich
- Autor: Tischendorf, Julius
- Auflagennummer (WdK): 3
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Wir werfen einen Blick hinein. Buntbemalte Teller hängen an den
Wänden, in der Ecke befindet sich ein ganz niederer Herd. In der
Mitte der Küche sitzt das Gesinde des Wirtes auf der ebenen Erde und
ißt mit hölzernen Löffeln das Mittagsmahl. Wir treten nun in die
Gaststube. Sie ist ungedielt. An den Wänden hängen Heiligenbilder.
Ans langen Bänken sitzen Bauern um einen großen Tisch herum. Sie
sind auf der Fahrt nach Budapest begriffen und halten hier kurze Rast.
Sie raucheu aus kurzen Thonpfeifen und sprechen dem roten Landwein
tüchtig zu. Sie plaudern von dem Streite, der gestern hier in der
Csarda getobt hatte. Bauern und Hirten waren in Streit gekommen,
Knüttel und Peitschen durchsausten die Lust und machten blutige Köpfe,
bis der Wirt mit seiner Flinte mitten hinein in die Wütenden sprang
und sie auseinanderriß. Nachdem wir uns am roten, feurigen Ungar-
wein gestärkt haben, besteigen wir unfern Wagen wieder, und weiter
gehts dem Dorfe zu, aus dem die Bauern stammen, die wir in der
Csarda trafen. Nach einstündiger Fahrt haben wir es erreicht. Es be-
steht aus elenden Lehm- und Schilfhütten, die in breiten Gassen stehen.
Von diesen Häusern gleicht eins dem andern. Zwei Fenster in der
Vorderwaild schaffen Licht. Der kleine Giebel ist durch Maisbüschel
verdeckt. Vor dem Hause steht eine hölzerne Bank; auf ihr fitzt abends
der magyarische Bauer, raucht seine Pfeife und streicht seinen Schnurr-
bart. Still und leer ist es in den breiten Gassen. Nur Gänse und
Schweine zeigen sich. Die meisten Männer sind heute nicht daheim.
Sie leiten einen mit Pferden und Ochsen bespannten Wagenzug nach
Pest und bringen so die Erzeugnisse ihrer Felder, insbesondere den
schweren Weizen, den sie erbaut haben, aus den Markt. Wir trafen
einige von ihnen ja noch in der Csarda.
Nach kurzem Aufenthalte setzen wir unsere Reise fort. Wiederum
geht es hinaus in die weite Pußta. Der Boden ist jetzt etwas besser
und zeigt stellenweise üppigen Graswuchs. Bald fahren wir vorüber an
zahllosen Rinderherden, umkreist von zottigen, weißhaarigen Hunden und
überwacht vom Gulyas sspr. Guljasch). Der Gulyas oder Rinderhirt
ist beritten wie der Roßhirt und gleich abgehärtet wie dieser gegen die
feuchte Kühle der Morgennebel, wie gegen die entsetzliche Hitze des
Sommers. Wir treffen eine solche Herde am Brunnen. In langen
Zügen trinken die Herden aus den bereits gefüllten Tränkrinnen, und
die Hirteu wehren dem Stoßen und Drängen der dürstenden Tiere.
Die Sonne neigt sich zum Sinken. Die Dämmerung breitet sich
über die weite Fläche. Sieh, da leuchten helle Feuer auf und stechen
grell vom nächtlichen Himmel ab. Wer entzündete sie? Die Hirten
waren es. Sie häuften Schilf, Mist und dürres Gras zusammen und
brannten es an, um sich Speck zum Nachtmahl zu bereiten und sodann
bei der lodernden Flamme zu plaudern und zu spielen. Erst spät in
der Nacht verglimmen die Feuer, und dann umfängt erquickender Schlaf