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1. Europa - S. 203

1897 - Leipzig : Wunderlich
— 203 — 2. Merkwürdig ist das Leben, das die Bewohner der ein- samen Absiedlungen im Innern der Insel führen. Die aus Lavablöcken und Erde errichteten Hütten, welche ein Gehöft bilden, siud von einer Schneemauer umwallt. Im Innern der Be- hausung giebt es keinen Ofen und keine Herdfeuer. Holz fehlt oder ist zu kostbar, um zur Feuerung verwendet zu werden; Kohle läßt sich wegen der hohen Beförderungskosten nicht beschaffen. Freilich hat man schlechten Torf, d. h. notdürftig getrockneten Rasen, aber nur so viel, daß man ab und zu ein Gericht dabei kochen kann. Geht auch dieses elende Brennmittel aus, dann verwendet man Mist, Schafsknochen und eine Art fetter, ungenießbarer Möwen zur Feuerung. Glücklicherweise ist aber der isländische Winter dank der Einwirkung des Golfstromes nicht so kalt, als manche glauben. Selten steht im Winter das Thermometer tiefer als 5 ° (X, und nur, wenn der rauhe Nordwind vom Pole her heult und im April oder Mai die Eismaffen von Spitzbergen (Zeigen!) flott zu werden beginnen, herrscht hier für wenige Wochen eine empfind-- liche Kälte. Die Nahrung der Isländer ist im Winter die denkbar elendeste. Skyr (saure Milch) giebt es nur im Sommer, weshalb man sich jetzt mit geräuchertem Lammfleische (Hangi) und Stockfischen behelfen muß. Und diese Nahrungsmittel werden nicht gekocht, sondern ohne jede Zu- bereitnng kalt verzehrt. Mehl und Zwieback giebt es nur in den Häusern der Wohlhabenden; Mus aus isländischem Moose, sowie Kuchen aus Sandhafermehl werden nur an Feiertagen genoffen; hingegen fehlt der Schnaps, der Ofen- und Sonnenwärme ersetzen muß, in keinem Hause. In dem engen, finsteren Wohnräume, deffen dicke Lavawand nur von einem winzigen Fenster durchbrochen wird, ist die ganze Haus-- genoffenschaft versammelt und atmet eiue nichts weniger als reine Luft ein. In demselben Räume mit den Menschen zusammen leben die Lämmer, die zu zart sind, als daß sie den Winter im Freien überstehen könnten. Hingegen sind die erwachsenen Schaft wie auch die Pferde im Wiuter sich selbst überlassen. Im ewigen Einerlei fließen die Tage des Winters dahin. Da sitzt der Familienvater auf einem großen Walsischwirbel, der ihm als Stuhl dieut, und schreibt aus einer vergilbten Handschrift eine Sage ab. Wenn die Mutter nicht gerade Netze strickt oder Tuch webt, unterweist sie die Kinder im Lesen und Schreiben. Die erwachsenen Glieder der Familie sind nnterdes mit Spinnen, Nähen oder Tabakkauen beschäftigt oder über- lassen sich, auf Schaffellen liegend, dem Schlafe. Entschließt sich der Vater, eine alte Sage zu erzählen, dann lauschen alle mit offenem Munde und geröteten Wangen. Die „Saga" ist der große Trost des isländischen Winters. Hundertmal gehört, wirken die wilden Thaten dieser nordischen Götter und Helden noch immer so gewaltig wie das erste Mal. Der Isländer erzählt die Sögur (Mehrzahl von Saga) noch heute mit den-
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