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1. Das Deutsche Reich - S. 365

1918 - Leipzig : Wunderlich
— 365 — Xvii. Ktsaß-^othringen. 46. Das Lügenfeld. Nicht weit von dem Städtchen Thann (bei Colmar) liegt das Lügenfeld Da sprießen keine Saaten, da erklingt kein Vogellied, nur Farnkräuter Hu- chem am schwarzen Ried hervor. Wenn der Bauersmann diese Stelle be- treten muß, so bekreuzt er sich und eilt schnell vorüber. Hier in dieser öden Wüstenei wurde einst der fromme, gutmütige Kaiser Ludwig von seinen Söhnen gefangen genommen. Es wird erzählt, daß sich einmal ein müder Wanderer zur Nachtzeit auf diesem Totenfelde verirrt habe. Als die Glocke vom nahen Städtchen die Mitternachtsstunde anschlug, da hörte er plötzlich rings um sich her ein Rauschen und ein Rasseln, wie von Waffen, und ein Getümmel, wie auf dem Schlachtfelde. Und als er sich erschrocken umblickte, um die Ursache dieses sonderbaren Rauschens und Rasselns zu erspähen, da stand vor ihm die Gestalt eines geharnischten.kriegers und sprach: „Was rief dich, Unglückseliger, in diese Wildnis her? Was rief dich hierher, um uns aus tiefen, schweren Träumen zu wecken? Wisse, da drunten in den Höhlen, in meilenweitem Gange, schlafen Heere schon Jahrhunderte lang. Die Frevel verruchter Söhne, der Bruch geschworener Treue hat längst schon auf sie des Himmels Strafe geladen. Vernimm die grause Kunde: Du stehst an derselben Stelle, wo Ludwig der Fromme mit seinem Heere verraten wurde. Wir schlössen dichte Reihen bis an die fernen Berge, um den königlichen Herrn zu schützen, da zog die Heeresschar der Söhne in blanken Waffen herbei, und vom dumpfen Rauschen dröhnte der weite Ra- senplan. Sie stürmten heran, die frevlen Brüder, in ihren Fäusten Schwer- ter, in ihren Blicken Zorn. Der tückische Lothar schlüpfte durch unser Lager und bot uns blanke Münzen und glatte Worte dar. Ja, selbst der heilige Vater betörte uns den Sinn, schlich durch unsre Reihen und stellte uns vor, daß die Treue Frevel sei, die man dem Sünder erweise; er streute schlimme Saat, bis wir uns verblendet dem Verrate fügten. Drauf schlugen die ver- ruchten Söhne die Hand des Vaters, die dieser bereits zum Frieden ent- gegenstreckte, in schweres Eisenband, sie rissen ihm die Krone vom silber- weißen Haupte und führten den verlassenen Greis hinweg. Da hob der Betrogene Augen und Hände gen Himmel und sprach in bitterstem Schmerz- gefühl: „Es gibt keine Treue mehr auf Erden! Geschworene Treue und Kindesliebe sind nur Trug." — Dann verfluchte er seine entärteten Söhne und ihre Kampfgenossen: Weh, falsche Söldnerschar, so feil und so verrucht! Weh dir, o Lügenstätte — ihr seid fortan verflucht!
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