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1. Teil 3 - S. 157

1895 - Leipzig : Wunderlich
— 157 — „Nein, nein", antwortete lächelnd die Kaiserin, „ich lässe dich nicht fort, bevor ich dein Antlitz gesehen habe." Noch einmal bat er flehend: „Majestät, gebt mir Urlanb, mein längeres Weilen bringt Schrecken in diesen Saal." „Ich fürchte mich nicht — ich muß dein Antlitz schauen", befahl die Kaiserin. Der Unbekannte öffnete das Visier. Niemand erkannte das stolze, edle Gesicht mit den geistreichen Zügen und den ernstblickenden, seelenvollen Augen. Keiner hatte ihn jemals im Gefolge des Königs gesehen oder war ihm begegnet bei festlichen Turnieren oder auf sonstiger Ritterfahrt: nur daß er ein stattlicher, zu ernstestem Kampfe befähigter und anch bereiter Ritter sei, das sahen alle; denn wie die Augen aller auf ihn gerichtet waren, schien seine Gestalt zu wachsen und aus seinen Augen schoß plötzlich ein so scharfer Blitz von Mut und Mannhaftigkeit, daß keiner von allen an seiner Ritterbürtigkeit zu zweifeln wagte. Aber was war denn das? Plötzlich ging dnrch die Versammlung Schrecken und Entsetzen! Die Damen flohen mit leisem Schrei aus- einander, die Herren standen starr und sahen, keines Wortes mächtig, auf den schwarzen Tänzer der Königin, der sich jetzt zu erkennen gab als — der Scharfrichter von Bergen! Der letzte Mann aus dem Volke, derjenige, dem sein Gewerbe das Brandmal der Unehrlichkeit aufdrückte, er hatte es gewagt, sich in die Versammlung von Fürsten und Herren zu drängen; mehr noch, er hatte die Frechheit begangen, unter der schützenden Maske die verehrte Person der Königin zu entwürdigen, er hatte die Krone beschimpft — er mußte sterben! Vor Zorn glühend, befahl der Kaiser, den frevlerischen Majestätsbeleidiger zu ergreifen und zum Tode zu führen. Aber wunderbarer Weise erschrak der Sünder nicht vor dem Zorngebote des Gewaltigen. Bereits schickten sich einige an, die Verhaftung auszuführen, da ließ sich der Verurteilte in edlem Anstände vor dem Kaiser aus ein Knie nieder und sprach: „Großmächtiger Herr! Es ist war, ich habe schwer gefrevelt an all den Edlen, die hier versammelt sind, 4m schwersten an Euch selber und Eurer liebreizenden Frau Gemahlin, die durch meinen frechen Übermut beschimpft und tief beleidigt worden ist. Ich bekenne mich schuldig, durch mein Eindringen in Eure und Eurer Edlen Gesellschaft, mehr noch da- durch, daß ich es wagte, die edle Königin zum Tanze zu führen, ein Majestätsverbrechen begangen zu haben. Aber kann selbst durch mein Blut gesühnt, die Schande abgewaschen, getilgt werden, die ich Euch an- gethan habe? Nimmermehr! Laßt Ihr mich töten, wird es heißen: Der Scharstichter von Bergen hat beim Krönungsmaskenballe zu Frank- furt mit der Gemahlin Kaiser Karls des Großen getanzt, und der Schimpf wird für alle Zeiten an Eurem glorreichen Andenken haften. Erlaubt
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