1917 -
Leipzig
: Wunderlich
- Autor: Tischendorf, Julius
- Auflagennummer (WdK): 23
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Hilfsbuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Nachdem der Schüler im 3. Schuljahre seine engere Heimat
kennen gelernt hat, also das Stück Erde, das er vom heimatlichen Hügel
aus mit den Augen überschaute und unter Führung seines Lehrers durch-
streifte, nachdem er weiter im 4. Schuljahre ausführliche Kunde erhielt
von seinem engeren Vaterland, indem er in Gedanken den Wellen
des Flusses folgte, in denen sich sein Wohnort spiegelt, oder im Geiste
den Bahnzug bestieg, der durch die heimatlichen Fluren saust und uns
hinausträgt in die winkende Ferne, zeigen wir ihm im 5. und 6. Schul-
jahre das Deutsche Reich. Zwei Schuljahre will ich für feine
Behandlung in Ansatz gebracht wissen, denn es genügt für unsere Zwecke,
für die einer nationalen Erdkunde, keineswegs, daß der Schüler eine
sogenannte „Übersicht" über das Reich gewinnt, vielleicht in schematischer
Weise die Grenzen, Gebirge, Flüsse, Staaten, Hauptstädte, Beschästiguugs-
weisen usw. kennen lernt. Nein! Er soll ausführlich und in lebens-
vollen Bildern Kunde erhalten von Land und Leuten, er soll im Geiste
das Reich mit offenen Augen und lernbegierigem Sinn durchwandern
von Nord nach Süd, vom Gestade der Weichsel bis hin zum grünen
Rhein bei Straßburgs alter Schanze. Und was soll er auf dieser
Wanderung gewinnen? Möglichst wenig Namen und schattenhafte All-
gemeinvorstellungen, möglichst viele lebenskräftige, farbenreiche Anschau-
ungen, möglichst wenig für die enge Schulstube, möglichst viel für das
vielgestaltige, bewegte Leben da draußen. Er foll erfahren:
1. Deutschland ist groß. Nicht, daß wir ihm nur sagen: Es
hat 540 000 qkm, ist also 36 mal so groß wie Sachsen. Dabei denkt
und fühlt man doch nichts! Nein! Wir durchmessen mit ihm im
Geiste das Reichsgebiet in 26 stündiger, rasender Fahrt im Schnell-
zuge auf der längsten Strecke, die wir in Deutschland in einer Rich-
tung zurücklegen können, auf der Strecke Eydtkuhnen-Bafel. l)
Wir besteigen früh 11 Uhr an der Grenze des großen Russischen
Reiches den Nordexpreßzug, der 6 Uhr Petersburg verlassen hat, und
betrachten vom Wagenfenster aus die Landschaft, die wir durcheilen.
Zunächst liegt das weite, ebene Preußen vor uns ausgebreitet. An
blitzenden Seen, über träge dahinrinnende Flüsse trägt uns der Zug.
Königsberg, die alte Krönuugsstadt, zieht an uns vorüber, dann Elbing,
die aufblühende Fabrik- und Handelsstadt, dann, nach siebenstündiger
eilender Fahrt, das gewerbtätige Schneidemühl. Nachdem die Sonne
gesunken ist und die Dämmerung die Landschaft in ihren Schleier ge-
hüllt hat, suchen wir den Speisewagen auf, setzen uns mit Reisenden
aller Herren Länder zu Tisch und plaudern beim Scheine der Lampen,
während der Zug in sich gleichbleibender Eile der Reichshauptstadt zu-
braust. Gegen 11 Uhr, also nach fast zwölsstündiger Fahrt, ist Berlin
erreicht. Hier verlassen wir den Zug, pflegen im Hotel einige Stunden
J) Benutzt: Wauer, Soziale Erdkunde.