1917 -
Leipzig
: Wunderlich
- Autor: Tischendorf, Julius
- Auflagennummer (WdK): 23
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Hilfsbuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Wurzeln über jene Steinpforte hinziehend und erst am Fuße derselben
Boden erfassend. (Zeichnen.) Und doch haben sich diese Bäume zu
einer gewaltigen Höhe emporgeschwungen und, mit den umklammerten
Steinen wie zusammengewachsen, stehen sie fester, als ihre Kameraden bei
uns. Die gewaltigen Steinblöcke, denen wir überall begegnen, sind von
hellgrünem Moose bewachsen. Unter ihnen rieselt hier und da silberhelles
Wasser hervor, tränkt die Baumwurzeln, die Heidekrautpflanzen, die Berg-
blumen und zierlichen Farnkräuter und eilt dann murmelnd und plät-
schernd zu Tal. Je höher man den Berg hinaufsteigt, desto kürzer,
zwerghafter werden die Tannen, sie scheinen immer mehr und mehr
zusammenzuschrumpfen. (Nach Heine.) Zuletzt wandert man nur noch
hin zwischen niedrigem Gesträuch, durch Heidelbeer- und Preißelbeerkraut.
Endlich ist der kahle, flachgewölbte, mit Granitblöcken bedeckte
Gipfel erreicht, über den fast immer ein kalter Wind hinwegfegt. Oft
ist es sogar im Sommer aus dem Gipfel des Brockens so kalt, daß dem
Wanderer, der sich während des Steigens den Schweiß von der Stirne
trocknen mußte, die Zähne klappern vor Frost. Auf dem Gipfel des
Brockens befindet sich ein Gasthaus und vor ihm ein steinerner, 20 m
hoher Aussichtsturm. Von der Höhe dieses Turmes aus schweift der
Blick hin über das gesamte Gebirge und über 89 Städte und 700 Dörfer.
Selbst die Türme von Magdeburg und die Städte Leipzig, Erfurt und
Kassel sind bei günstigem Wetter zu sehen. Oft freilich hüllt sich der
Brockengipfel in fo dichte Nebelschleier, daß nicht einmal die allernächste
Umgebung sichtbar ist. Hinter dem Gasthaus ist ein freier Platz von
der Größe unseres Marktes. Er führt den Namen Hexentanz-
platzt) Auf ihm sollen in der Walpurgisnacht (1. Mai) jedes Jahres
die Hexen wilde Tänze aufführen. Hört, was die Sage meldet:
Wenn der Monat April mit feinen Schneeschauern und letzten Resten
des Winters vorüber ist, in der Nacht vom letzten April zum ersten
Mai (Walpurgisnacht), eilen von allen Seiten und Richtungen die Hexen
zum Blocksberge. Da ist ein großes Gedränge, und weil es der Eile
bedarf, so tragen sie die Füße nicht schnell genug; sie kommen also durch
die Luft zum Berge heraugezogeu, von oben und auch von uuteu, auf
Ofen- und Heugabeln, Streichbesen und Ziegenböcken, aus dem Walde
und hinter dem Berge hervor. Wahrscheinlich führen sie die Ofengabeln,
um das Feuer anzuschüren, die Streichbesen aber, um den Schnee weg-
zukehren, der am 1. Mai den Brocken noch bedeckt. Wie schwarze Wolken
verdunkelt ihre Schar noch mehr die dunkle Nacht. Die Lust selbst
wird unruhig und jagt im Wirbelwinde das Gewölk von Berg und Tal.
Bald flackert aber ein lustiges Feuer hoch empor. Der Teufel besteigt
dann seine Kanzel und predigt vor der glänzenden Versammlung der
l) Nicht zu verwechseln mit dem Hexentanzplaß im Bodetale, welcher der
Roßtrappe gegenüberliegt!