1911 -
Frankfurt a.M.
: Auffarth
- Autor: Wehrhan, Karl, Schmidt, Friedrich Wilhelm
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Regionen (OPAC): Frankfurt (Main)
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
5. So steht der Turm wie ein alter, stummer Zeuge jener
längst verschwundenen Zeiten vor uns. Alle seine Kameraden sind
ins Grab gesunken, als vor hundert Jahren die Festungswerke
niedergelegt wurden. Nur er, der schönste und mächtigste Tor-
Wächter Frankfurts/ ist übrig geblieben zum Gedächtnis jener alten
Stadtherrlichkeit und Wehrhastigkeit. Kindern und Kindeskindern
soll er erzählen von dem Leben und den Taten jener fernen Tage.
Und wenn sie seine Sprache verstehen, so werden sie ihn lieben
und bewundern und dasür sorgen, daß er auch in späteren Zeiten
erhalten bleibt. Dann wird sich die Sage erfüllen, die von ihm
geht: Nicht eher soll ein Stein von ihm hinweggenommen werden,
bis der Efeu zu seinen Füßen sich zu der Wetterfahne empor-
gerankt haben wird, in die einst Hans Winkelsee den schönen
Neuner schoß.
Die 9 in der Wetterfahne.
ndlich hatte man Hans Winkelsee, den gefährlichsten
Wilddieb im Frankfurter Stadtwald, gefangen ge-
nommen und in den Eschenheimer Turm gebracht.
Dort lag er in luftiger Höhe hinter Schloß und
Riegel in sicherem Gewahrsam. Nach 9 Tagen
sollte er zur Strase sür seine Wilddieberei hin-
gerichtet werden. Schaurig knarrte die alte, rostige Wetterfahne
über dem Haupte des jungen Gefangenen, als ob sie ihm jetzt schon
den Totengesang anstimmen wollte. Hänsel konnte kein Auge schließen.
Wenn er das müde Haupt zum Schlummer auf den harten Boden
legte, weckte ihn stets das unheimliche Knarren und Wirbeln der
Wetterfahne wieder auf. Da schwur er ihr bittere Rache. Nach
einem alten Herkommen hatte jeder Verurteilte das Recht, sich vor
seinem Tode noch einen letzten Wunsch auszubitten. Diese Gnade
wollte Haus Winkelsee benutzen, um mit seiner Büchse einen Neuner
in das Blech der Wettersahne zu schießen, die ihm den Schlaf während
seiner letzten 9 Lebenstage geraubt hatte. Zugleich gedachte er aber
auch dem Rat zeigen, welch ein vortrefflicher Schütze in ihm ver-
loren ginge.
2. Der Gefangenwärter, der den letzten Wunsch des Wildschützen
hörte, teilte ihn dem Rat mit. Der wunderte sich und meinte, ein
solches Wagestück auszuführen, sei unmöglich. Darum willigte er
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