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1. Erdkunde - S. 305

1900 - Freiburg im Breisgau : Herder
— 305 — Ernten verdankt. Der Ägypter betrachtet daher diese Erscheinung fast mit religiöser Scheu. Feste jeder Art wechseln miteinander, wenn um die Mitte des Augusts bei Kairo die Schleuse des großen Kanals durchstochen werdeu kann, welcher hier vom Nil ausläuft und mit seinen Verzweigungen das östliche Unterägypten — das alte Gosen — überschwemmt. Unmittelbar nach dem Durchstich fertigt der Kadi eine Urkunde aus, welche den genügenden Wasserstand be- [tätigt und dem Sultan in Konstantinopel das Recht giebt, von der ägyptischen Regierung den vollen Tribut zu erheben. Ist die Schleuse durchstochen, so erfüllt der tausendzüngige Jubelruf die Lüfte: „Der Strom kommt, der Strom kommt!" Etwa um den 26. September hat der Nil die größte Höhe erreicht; das Festland ist verschwunden, nnr die langen, vielgebrochenen Linien der Dämme, nur die Städte und Dörfer auf ihnen tauchen im Schmucke der Palmen und der Minarets aus der nebelhauchenden Fläche empor (Bild 102). Was man sieht, ist kein Fluß, kein See, sondern ein Meer, so daß einst der griechische Geschichtschreiber Herodot bei diesem Anblicke sich in den heimatlichen Archipel versetzt glaubte. Aber nach wenigen Wochen schon treten einzelne hochgelegene Punkte wieder aus dem Wasser- spiegel hervor, und bald streut der Fellah (vgl. Bild 69, S. 196) die Saat über den aufgeweichten Boden, das tiefere Eintreten der- selben seiner Ziegenherde überlassend. Alles andere besorgen die Sonne und der fruchtbare Nilschlamm. Der Fellah kehrt erst wieder, wenn die Halme unter der Last der Körner zur Erde siukeu, um nun mit der kurzen, sägenartigen Sichel sie abzuschneiden, aber auch zugleich eine zweite Aussaat vorzubereiten. In dieser Periode ent- faltet die Natur Ägyptens ihre üppigste Pracht, während im Früh- jähr das Land von der Sonne verbrannt und zerrissen dalag und der Chamsin seine Gluthitze über das geborstene Feld hinhauchte. Das ganze Nilthal ist jetzt ein Garten voll Ähren und Blüten. Be- rauschend ziehen die Düfte der Orangen und Mimosen, der Lupinen und der süßen Kleearten durch die Luft, und über dieser gesegneten Erde wölbt sich in unbeschreiblicher Klarheit das Firmament, wölken- los bei Tage und wolkenlos bei Nacht.
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