1899 -
Leipzig
: Dürr
- Autor: ,
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 3
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Regionen (OPAC): Vogtland
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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werde. Das muß umsomehr mit Freuden begrüßt werden, als die Bewohner
der böhmischen Nachbarstädte Graslitz und Schönbach alle Kraft daran setzen,
sich selbständig zu machen und mit unseren Waren ans dem Weltmarkte in
Wettbewerb zu treten.
Die „Musikstädte" des Vogtlandes, die zum Teil auch sehr schön ge-
legen sind machen schon von weitem einen überaus gefälligen Eindruck.
Und welch freudiges Leben herrscht in den Straßen! Aus den Häusern
„singt und klingt" es uns entgegen; ist es doch Pflicht jedes einzelnen
Fabrikanten, sein Instrument spielen zu können. Hier spielt einer die Geige;
dort probiert jemand eine Trompete; hier läßt einer die Zither erklingen;
dort hören wir die dumpfen Töne der Trommel. Es braucht uns nicht zu
wundern, wenn wir heiter gestimmten Bewohnern begegnen: die Musik, die
köstliche Himmelsgabe, macht sie fröhlich. Überall zeigt sich in den Werk-
stätten ein freundlicher Verkehr zwischen dem Meister und seinen Gesellen
und Lehrlingen. Wir finden wenig große Fabriken; denn die Hausindustrie
herrscht vor. Die Meister verfertigen bald allein, bald mit einer Anzahl
von Gesellen und Lehrliugeu ihre Instrumente und verkaufen sie meist an
die verschiedenen Handelshäuser, deren Zahl von Jahr zu Jahr zunimmt.
2. In Markneukirchen und seiner Umgebung werden alle Instrumente
verfertigt, die zur Ausstattung eines vollständigen Musikchors gehören. Taufende
von Messingblasinstrumenten gehen alljährlich in alle Welt; der Bau von
Maudolinen hat in unserer Zeit einen raschen Aufschwung genommen durch
die Ausfuhr nach Italien, Spanien und Südamerika. Obenan steht die
Fabrikation der Streichinstrumente, vor allen Dingen die der Violinen,
deren Herstellung von Anfang an ununterbrochen zugenommen hat. Während
in einem Berichte aus dem Jahre 1680 nur 9 bis 10 Geigenmacher er-
wahnt werden, zählt man zur Zeit deren 700 bis 800. Das Studium
der Geigen alter, berühmter Meister hat in Markneukirchen einen besonderen
Zweig des Geigenbaues hervorgerufen, nämlich die „Imitation", d. i. die
Nachahmung derselben. Es werden jährlich über 1000 Geigen hergestellt,
die aufs getreuste deueu der alten Meister entsprechen. Solche Instrumente
sind in Rußlaud schou als echt italienische für 200 bis 300 Rubel verkauft
worden, obwohl sie erst 8 bis 10 Wochen zuvor in Markneukirchen verfertigt
worden waren. Aber nicht bloß Form und Ton der alten Muster wissen
Markneukirchner Meister zu treffen; sondern sie stellen auch die getreuen
Merkmale eines zweihundertjährigen Alters her, so daß schon oft genug
selbst Sachverständige derartige Instrumente für echt erklärt haben. Ferner
werden alte deutsche Geigen in alte italienische umgearbeitet und von Lieb-
habern oft sehr teuer bezahlt. Mancher Musiker glaubt im Besitze einer
echt italienischen Mustergeige zu sein und hütet doch eine in Markneukirchen
gefertigte als seinen größten Schatz.
Im ganzen schickt Markneukirchen im Lause eines Jahres über 200 000
Violinen, von der feinsten italienischen Geige an bis zur einfachsten Neger-
fidel bis in die entferntesten Gegenden der Erde. Davon werden in Mark-
neukircheu selbst uur die guten und ein Teil der Mittelsorten hergestellt,
deren Preise zwischen 60 bis 480 Mark für das Dutzend schwanken, feinere
kosten das Stück bis zu 200 M; noch teurer werden alte Geigen bezahlt.
Bei der Geigenmacherei ist die Arbeitsteilung ziemlich vollständig durch-
geführt. Die einzelnen Bestandteile werden fast sämtlich in besonderen