1885 -
Leipzig [u. a.]
: Spamer
- Autor: Richter, Julius Wilhelm Otto
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Geschlecht (WdK): koedukativ
162 Skandinavien.
4. Der Sognefjord.
Eine besondere Eigentümlichkeit Norwegens sind die schon mehrfach er-
wähnten langen und schmalen Meerbusen, Fjorde genannt, die sich bis über
300 km weit in das Land hineindrängen und das an Landstraßen ziemlich
arme Innere desselben in direkte Verbindung mit der Außenwelt setzen. Die
meisten und größten Fjorde zerklüsten die Westküste; unter ihnen sind der H ar-
danger-, der Sogne-, der Throndhjems- und der Lyngenfjord die
bemerkenswertesten; jeder hat seine Vorzüge und ist höchst besnchenswert; wir
wollen nachstehend dem Sognefjord eine kurze Schilderung widmen.
Dieser ist unter allen westlichen Fjorden Norwegens der längste und am
weitesten verzweigte. Vom Meere bis zu seinem westlichen Ende hat er eine
Länge von ungefähr 180 km und dabei eine Tiefe bis zu l000m. Von seinen
ausgedehnten Zweigen sind die wichtigsten und an Naturschönheiten reichsten der
Fjärlands-, Sogndals-, Lyster-, Aaardals- und Aurlaudsfjord;
aber die ganze Landschaft Sogn, welche eine Größe von 9000 dkm und
eine Einwohnerschaft von etwa 38 000 Seelen hat, muß als eine der groß-
artigsten Gegenden nicht nur Skandinaviens, fondern auch Europas betrachtet
werden. Im einzelnen wiederum bieten die Thäler von Lyster und Aardal
Bilder von einer solchen Wildheit und Erhabenheit dar, wie sie auch das Auge
des verwöhntesten Reisenden zu fesseln vermögen. Der Hauptarm des Sogne-
fjords ist verhältnismäßig eintönig, während die Naturschönheiten sich in den
Seitenzweigen desselben zusammendrängen. Die Wasserfälle, welche zu dem
Sognefjord herabstürzen, sind zum Teil sehr hoch — der Veltisfoß in Aardal
hat eine Höhe von 260 m — aber sie enthalten weniger Wasser als diejenigen,
die den Hardangerfjord schmücken. Zu den Hauptvorzügen des Sogn gehören
namentlich die ungeheuren Gletscher, die in seiner Nähe lagern; vor allem der
gewaltige Jostedalsbrä, der interessanteste und großartigste Norwegens und,
wenn man von Island absieht, auch Europas.
Bei Soguefest lenkt das Dampfboot, welches alle diese Naturschönheiten
zugänglich macht, in den Sognefjord ein; hier sind die umgebenden Berge noch
niedrig, steigen jedoch immer höher empor. Bei der Station Vik sieht man den
südlichsten Zweig des Jostedalsbrä, den Gletscher von Vetlefjord, abwärts
gleiten. Bei Balholmen, das sich in überaus malerischer Lage befindet, hat
man nach West und Nord eine prachtvolle Gebirgsansicht, während sich ostwärts
der breite Hauptfjord öffnet, der wiederum von dem 2000 m hohen Bleja
überragt wird. Hier und in der Gegend von Lekanger, das in dem herrlichen
und gartenreichen Sjöstrand liegt, hat die Frithjofsfage ihren Schauplatz,
die durch Tegncrs herrliche Dichtung Gemeingut aller gebildeten Völker ge-
worden ist. Auf dem weiteren Wasserwege berührt man den anmutigen, sich
gegen Norden abzweigenden Sogndals-, und vor allem anch den durch seine
jähen, bis zu 1500 m hohen Felswände und durch seine wilde Umgebung höchst be-
merkenswerten Näröfjord. Von gleicher Großartigkeit ist auch der, wie dieser,
gegen Süden ablenkende A u r l a n d s fj o r d, an welchem das pittoreske F l a a m s d a l
mit herrlichen Wasserfällen sich weiter gegen Süden hin öffnet. Nachdem die Fahrt
eine größere Strecke, den Hanptsjord hindurch ostwärts gegangen ist, erreicht
das Dampfschiff das in einem südöstlichen Seitenzweige gelegene Lärdalsören,