1885 -
Leipzig [u. a.]
: Spamer
- Autor: Richter, Julius Wilhelm Otto
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Geschlecht (WdK): koedukativ
192 Frankreich.
2. Die Loire.
Die Loire hat ihre Wiege im vulkanischen Gebiete des Vivarais, südlich
von dem betrachteten Plateau von Auvergue; sie wird bis zum Beginne ihres
Mittellaufes von dem Allier begleitet. Gerade in dein wildesten Gewirr der
über und neben einander geschobenen Massen, in der Nachbarschaft des gewal-
tigen, jetzt erloschenen Feuerherdes Mezeuc, kommen die beiden Quellbäche von
den trachytischen Hängen des 1551 m hohen Gerbier de Jone herab. Diese
Gegend hat derartige Lavaströme über sich ergehen lassen müssen, wie sie selbst
bei dem Ätna nicht vorkommen. In diesem vulkanisch-granitischen Oberlause
nimmt die Loire, wie ihr Nebenfluß Allier, anfänglich eine südliche Richtung
an, als wollte sie dem Rhone sich zuwenden, aber die fast 1500 in hohen Ge-
birge, welche sich dem jungen Bergstrome entgegenstellen, weisen ihn westwärts
und sodann gegen Norden, so daß er zwischen den Lavaströmen des Mezenc
und Velay seinen Durchbruch erzwingen muß. Etwas weiter abwärts bildet
ein zweites Gebirgsdesilc den Abzugsgraben für ein geräumiges ehemaliges
Wafferbeckeu, das von Emblavez; hier find die Phonolithenmassen des Ger-
bifon und des Miauue von der Loire in einer 500 in tiefen Kluft durchsägt
worden. Die Eisenbahnfahrt durch diese Felsenschluchten der oberen Loire ge-
hört zu einer der schönsten Partien Europas. Aus düstern Schluchten, aus
der Nacht der Tunnels in rebengeschmückte Thäler, dann wieder an hohen Berg-
Halden vorüber, die, mit magerem Gestrüpp bekleidet, malerische Bergnester und
zerbröckelnde Burgeu aus schwarzem vulkanischen Gestein tragen, Gitterbrücken,
Viaducte, Einblicke in wilde Seitenthäler mit rauchenden Fabriken, der Berg-
ström bald uuter, bald neben der Bahn, so durcheilt der Reisende das hoch-
romantische Departement der oberen Loire. Der Allier durchzieht beim Ans-
tritte aus dem Gebirge eiue ehemalige Seevertiefung, die berühmte, saatenwogende
Limagne, während die Loire, nachdem sie die letzte Gebirgsenge überwunden
hat, hinaus in die freieren Seebecken des Forez und von Roanne tritt. Das
erstere ist noch jetzt mit einer Menge von Teichen und Seeen bedeckt, welche
die Überreste eiues alten Binnenmeeres bilden. Unterhalb Roanne wird die
Loire noch von Berghöhen zu beiden Seiten begleitet, sodann aber tritt sie
unterhalb Revers im Departement der Nietire völlig aus der Höhenregion
heraus und beginnt, mit dem Allier vereinigt, ihren Mittellauf. Auf dem-
selben durchströmt sie zunächst die Zone der Juragebilde, sodann die der Ter-
tiär- und Kreideformation, welche sich durch die Landschaften Nivernais, Berry,
Orleanais, Blaisois, Touraiue und Anjou hindurchziehen. Hier befinden wir
uns in dem großen Fruchtgarten Frankreichs, der sich von den Jurahügelu von
Saucerre prächtig überschauen läßt. Da sieht man im Umkreise großer ge-
schichtlicher Städte die herrlichsten Landschaften; die üppigen Weinberge von
Pouilly, der Cöte de Grouets, von Jone und Vouvray u. a. Nameut-
lich in, der hochgesegneten Touraiue athmet zur Seite des Stromes alles
Anmut und Weichheit und an die Lustschlösser von Menars, Chambord,
Amboise und Chenonceaux, Langeais und Chinon schließen sich jene
wunderbaren Gärteu an, die in der Zeit der letzten Ludwige die Stätten der
üppigsten und glänzendsten Feste gebildet haben. Gerade dieser herrliche Land-
strich ist es, welcher unzählig oft von den Fluten der Loire verheert wird; wie