1908 -
Essen
: Baedeker
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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klar indes ist die Aussicht in der Frühe bald nach Sonnenaufgang. Zu
dieser Zeit ist daher der Berg am besten zu betrachten. Die einzelnen Vege-
tationszonen, die Felsen, Gletscher und Schneefelder können vor allem mit
einem guten Fernglase genau unterschieden werden.
Wie eine Insel hebt sich das frischgrüne Kilimandscharo-Gebirgsland,
das eine Fläche bedeckt, die den Harz bei weitem an Unfang übertrifft, aus
der gelbbraunen Steppe heraus. Der Fuß desselben beginnt ungefähr auf
einer Höhe von 900 m über dem Meeresspiegel. Der Gebirgsstock besteht
aus Tuffen, Basalten, Trachyten, Asche und Lavamassen und bildet so eine
der gewaltigsten vulkanischen Aufschüttungen der Welt. Die Bergmasse, deren
Sattelkamm eine Höhe von etwa 4400 m hat, läuft in zwei Spitzen, Kibo und
Mawensi, aus, von denen die westliche, Kibo, mit ewigem Schnee und Eis
bedeckt ist, die östliche, Mawensi, jedoch sich nur vorübergehend im Schnee-
gewande zeigt. Der Kibo erhebt sich bis zu einer Höhe von 6000 m, der
Mawensi bis 5300 m. — Der erste ist domartig gewölbt. Ungeheure
Gletschermassen füllen seinen etwa 2 km im Durchmesser betragenden Krater
aus und bekleiden die Außenwände der Kuppen, wobei sie 600 m tief, von
der Spitze gerechnet, herabhängen. — Der Mawensi ist sonderbar zerklüftet
und fällt in wildzerrissenen Fetswänden jäh ab, weswegen sich der Schnee
nicht lange darauf halten soll. Trotzdem habe ich während der ganzen Daner
meines Aufenthaltes im Kilimandscharo-Gebiet bestimmt begrenzte Schneefelder
auf ihm sehen können.
Nach allen Seiten stürzen vom Kilimandscharo Gewässer herab, seine
Hänge in Landschaften zerlegend, die durch tief eingerissene Schluchten ge-
trennt sind. — Der Berg hat die Eigenart, daß er alle Klimazonen der Erde
um sich vereinigt. Während sein Fuß auf dem sonnendurchglühten Boden
von Aqnatorial-Afrika steht, erhebt sich sein Haupt in die Eisluft der Polar-
gegenden. Seine Pflanzendecke zeigt Vertreter aller Regionen, von den
Palmen und Bananen der Tropen an bis zu den Flechten und Moofen der
Welt des ewigen Eises. Wenn man, aus der Steppe kommend, den Berg
hinaufsteigt, so trifft man im allgemeinen bei einer Höhe von 900 m auf
Busch, bei 1100 m auf Kulturland, bei 1700 m auf Hochwald, bei 3000 in
auf Bergwiesen, bei 3900 m auf Heidekraut und Gestrüpp und bei 4700 m
auf die Schneegrenze, über die hinaus sich nur noch Steinflechten vor-
finden.
In einer Höhenlage von 1100 bis 1700 m zieht sich von Osten nach
Westen ein Gürtel bebauten Landes um den südlichen Teil des Kilimand-
scharos herum. Wie an den noch zahlreich stehen gebliebenen Bauminseln
zu sehen ist, liegt dieses Kulturland zweifellos schon auf dem Grund und
Boden des Hochwaldgürtels, dessen Bestünde hier vor langen Zeiten gefällt
sein mögen. Die einzelnen Landschaften werden von je einem der verschie-
denen Wadschaggastämme bewohnt, die unter besonderen Häuptlingen stehen.
Die Wadschagga leben nicht in Dörfern, fondern familienweise auf ihren
Bauerhöfen. Sie bauen hauptsächlich Bananen, Bataten, Tomaten, Mais,
Hülsenfrüchte und Zuckerrohr. Da der Boden des Kilimandscharo-Gebiets
seines vulkanischen Ursprungs wegen sehr fruchtbar ist, und die Wadschagga
es verstehen, die zahlreichen Gießbäche zur Berieselung ihrer Felder anszu-
nützen, sind die Lebensbedingungen daselbst sehr günstige. Neben dem Acker-
bau betreiben die Wadschagga mit Vorliebe Viehzucht, wobei nur Stall«