1897 -
Leipzig [u.a.]
: Bibliogr. Inst.
- Autor: Geistbeck, Alois
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Atlas
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
50 Xiv. Rußland.
Und mit dieser Größe der räumlichen Entfaltung vereinigt sich eine Einfachheit der Boden-
gestaltung, wie sie kein anderer Großstaat Europas aufweisen kann. Natürliche Einheiten
neigen dazu, auch politische Einheiten zu werden, und so mußte denn hier das gewaltigste
Staatsgebilde unseres Erdteils sich entwickeln. Trotz einer gewissen Eintönigkeit im Gesamt'
charakter der russischen Bodenbildung bedingen doch Klima, Bewässerung und geologische Be-
schaffenheit des Untergrundes eine größere Mannigfaltigkeit der Natur, als man gemeinhin
anzunehmen geneigt ist. Versuchen wir eine flüchtige Skizze der einzelnen Landschaften des
weiten Slawenreiches zu zeichnen.
Wenn man von Zltemel auf der großen Petersburger Landstraße die russischen Ostsee-
Provinzen durcheilt, so bieten sich dem Beschauer Landschastsbilder dar, die vielfach an die
preußische Seenplatte gemahnen. Tannenwälder ziehen ohne Ende an der einen Seite des
Weges hin, streckenweise auch Urwaldreviere, die noch keines Menschen Fuß betreten, und mit
diesen wechseln Äcker und Heide, Sand und Sumpf. Aus einem Hügel, an einem See oder
einem Flusse taucht der Sitz eines Gutsherrn auf, in einiger Entfernung davon liegen die schmuck-
losen Bauernhäuser eines Dorfes. Trotz der großen Waldungen, der Seen und Sümpfe, der
Moore und Heiden ist das Land im ganzen nicht unfruchtbar, vielmehr sagt der Boden dem
Roggen, der Gerste und dem Flachse vortrefflich zu. In dem südlichen Litauen, dem Weizew
lande, findet sich die größte Fruchtbarkeit, nach Norden nimmt dieselbe naturgemäß ab. Daher-
gehen seit Jahrhunderten Getreidefrüchte und namentlich auch Holz der Ostseeprovinzen nach
Deutschland und England, Schweden und Holland, und die Küstenstädte verdanken diesen:
Handel vorwiegend ihre Blüte. Nicht selten hört man bei uns von den „deutschen" Ostsee-
Provinzen sprechen. Der Grund hiervon liegt in der Geschichte des Landes, die uns berichtet,
daß Deutsche es waren, die als die ersten Sendboten der christlichen Lehre zu den heidnischen
Letten und Esthen kamen, daß schon im \2. Jahrhundert an der Ostsee deutsche Ritterorden
über weite Strecken Landes geboten und ihre Hoheitsrechte in langwierigen Kämpfen gegen
Dänen, Norweger, Schweden, Polen, Litauer und Russen erfolgreich verteidigten, und daß
deutscher Ausdauer und Intelligenz es zu verdanken ist, wenn die Ostseestädte durch ihren
Handelsverkehr reich und durch ihre Lehranstalten eine Pflanzstätte der Wissenschaft wurden,
dazu berufen, ihren segensreichen Einfluß weit und breit geltend zu machen.
Das baltische Tiefland ist die nördliche Abdachung des westrussischen oder litauischen
Höhenzuges, einer breiten platte von 200—250 m Höhe, deren Oberfläche mit Gletscher-
schutt überkleidet ist, deren Unterlage aber aus Mergel, Sandstein und Kalk aus den ältesten
Zeiten der Erdbildung (Silur und Devon) besteht. Düna und Niernen, die beide fast bis zu
den (Quellen schiffbar sind, entwässern das niederschlagsreiche Land. Sein nördlichster Teil ist
das Newabecken, das Übergangsglied zur nordrussischen Tiefebene. Hier schuf peter der
Große im Jahre J705 inmitten einer unfruchtbaren, sumpfigen Gegend seine neue Residenz-
stadt St. Petersburg (S. J(73), eine Stadt von Palästen, die sich in \lk Jahrhunderten nicht
nur zur glänzenden Hauptstadt des russischen Reiches, sondern auch zugleich zu einem der wich-
tigsten Handels- und Rasenplätze Europas aufgeschwungen hat. Der Punkt, wo sie steht, ist von
ihrem Gründer trefflich gewählt worden; denn auf der einen Seite öffnet sich das völkerver-
bindende Meer, auf der anderen ziehen durch die breite Lücke zwischen dem nordrussischen
Landrücken und der Waldaihöhe die Kanäle von der Newa zur Wolga, der Hauptverkehrs-
ader des Reiches, so daß also eine ununterbrochene Wasserstraße zwischen der Ostsee und dem
Kaspischen Meere, zwischen Petersburg und Astrachan hergestellt ist.
Das Übergangsglied zur skandinavischen Halbinsel, dessen Natur es vollkommen teilt,
bildet Finnland, ein Granitplateau von geringer Höhe, mit dürftigem Humusboden und vor-
wiegender Waldbedeckung. Es ist ein labyrinthisches Gewirr von Land und Wasser, von
Seen und Sümpfen, von flachrückigen Hügelreihen und muldenförmigen, wenig ausgebildeten
Thälern (S. \73) mit schwacher Besiedelung.
Vom nordrussischen Landrücken, einer Anschwellung von etwa 200 m, senkt sich der Boden
zum arktischen Wald- und Tundrengebiet hinab, das fast nur für Jäger und Fischer bewohnbar
ist. Archangel, an der Mündung der Dwina (S. J7^), ist das Handelszentrum dieser Region.
An die Waldaihöhe (350 m) schließt sich im Süden das große russische Zentralplateau,
eine fast ebene Hochfläche, die den weiten Raum zwischen dem Dnjepr in: Westen und der