1913 -
Berlin [u.a.]
: Oldenbourg
- Autor: Wütschke, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Höhere Schule
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): Jungen
45. Vom Volkstum der Lüneburger Heide.
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fährt oft vierter Klasse: „Ek kom just so froi", und die großen Ölbauern in
Wietze, die täglich mehrere hundert Mark aus den Ölquellen beziehen, bringen genau
so wie früher selber den Dung aus ihre Felder. Nicht nur dem Range
auch der Arbeitsleistung nach ist der Bauer der erste Knecht seines Hofes.
So erzieht hier der Boden nicht jene wundervollen Gestalten voll über-
schäumender Urkrast, wie etwa in Oberbayern oder Tirol. Hier gibt es nicht
jenen lauten Sehnsuchtsjauchzer des Jägers, den die ferne Sennerin im Ge-
birge jubelnd erwidert. Wilder Leidenschaft mißtraut der Bauer als Satans-
werk. Ihr verzehrendes Feuer bändigt er mit kühler Besonnenheit zu milder
Flamme, daß sie ihm helse, den häuslichen Herd das lange Leben hindurch zu
erwärmen. Eigentlicher Bauernstolz im häßlichen Sinne ist hier nicht wie in
der Marsch zu Hause. Es fehlt an dem schroffen Gegensatz zwischen arm und
reich, der eben solches Empfinden aufkommen läßt. Bei der Spärlichkeit der
Schankstätten und den weiten Entfernungen kann der Wirtshausbesuch nur
gering sein. Auch Spiel- und Prozeßsucht ist nicht eigentlich verbreitet. Über
einem Hause bei Walsrode steht der mehr als weise Spruch: „Nim, Herr,
dit Hus in Dine Hut, dat Doktor und Askaten bliwen but".
Wie sehr Haus und Hof im Mittelpunkt des ganzen Daseins stehen, spricht
vielleicht am naivsten die Sitte aus, daß nicht der Bauer dem Hof den
Namen gibt, sondern der Hof dem besitzenden Herrn. Hat jemand einen
Hof käuflich oder durch Erbgang erworben, so verliert er und seine Kinder
im Volksmunde den angeborenen Namen und wird nach dem Hose genannt.
Hieß er etwa Meyer und erwarb „Roggenhof," so heißt er von nun ab
Rogge. Nur bei dieser Wertschätzung kann es kommen, daß in dem ganzen
Gebiet der Hos seit alters unteilbar ist und das Anerbenrecht besteht. Der
alternde Vater macht mit einem der Söhne — gewöhnlich dem ältesten —
einen Vertrag, selten ein Testament, das als todverkündend gilt, in dem die
schmalen Abfindungen der andern Kinder festgesetzt werden. Der jüngere
Sohn wurde wenigstens in früherer Zeit gewöhnlich Knecht bei dem älteren
und die Schwester Magd. Das scheint furchtbar hart. In Wahrheit ist es
nicht so hart gewesen, da die Lebenssührung des Bauern und des Knechtes gleich
ist. Dazu kommt, daß vor der Verkoppelung und Gemeinheitsteilung das
Versügnngsrecht des Besitzers sich doch eigentlich wenig über Haus- und
Hofraum hinaus erstreckte. In Wirklichkeit blieb der Hof im Besitz der Fa-
milie, und wie billig gab der Familienälteste den Namen aus. So konnte
es kommen, daß die Geschwister um des belasteten Stammhoses willen oft
fogar auf eine Abfindung überhaupt verzichteten. Härter wurde die Sitte
nach Teilung der Gemeinheit, von der der jüngere Sohn als Nichtbaner aus-
geschlossen wurde. Erst dadurch wuchsen die Höfe zu der enormen Ausdeh-
nnng. So hat der ältere dem jüngeren Bruder gegenüber das Königs-
gefühl des Grundbesitzers. So weit das Auge reicht, dehnt sich sein Land:
„Dat is all min", und auf diesem kleinen Stück der großen Erde lebt er wie