1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Bilder aus Ost-Europa.
topfe, Bonquets, Setzlinge, Fliegenwedel, Rechen, Gartenmöbel, Kote-
letts, Würste, Schinken, lebende und geschlachtete Kapaunen, Enten,
Wald- und Feldhühner werden in eigentümlichen, meist melancholisch-
eintönigen Lauten ausgerufen, dem Eingeweihten schon weithin Der-
ständlich und unterscheidbar. Mit der Abnahme der Sommerzeit der-
schwinden sie gleich den Schwalben und den Städtern, so daß der
arme Bauer zuletzt wieder mit allen seinen Bedürfnissen ans die Lafka
(die Krämerbude) angewiesen ist. Der Bauer — ein großenteils
hübscher Menschenschlag — hat von dem alljährlichen großen Verkehr
der Städter wenig materiellen und noch weniger geistigen Vorteil.
In traurigen kleinen Holzwohnungen, oft nur in Hütten wohnt er
den Sommer, indes er seine Datsche und oft sein eigenes Haus ver-
mietet. Er erscheint bei seinen Mietern nur, um sein Geld (meist im
voraus) einzuziehen, sein Wasser und Holz teuer zu verkaufen, oder
ihnen etwas abzuzwacken. Selten, und ungern nach mehrmaligem
Rufen erst erfüllt er die kleineu ausbedungenen Arbeiten zur Rein-
Haltung des Gärtchens und der Wege; im ganzen ist er scheu und
listig gegenüber seinem bezahlenden Gaste aus der Stadt. Von den
verschiedenen Datschen und Zimmern hat er oft mehrere hundert bis
tausend Silberrubel (= 3,25 Mark) einzunehmen. Davon hat er sich
schon am Ende des Wiuters Vorschüsse geholt, um dadurch die schwerste
Zeit seines Lebens zu fristen und die Datsche auszubessern, davon
bezahlt er seinem Herrn die Abgabe, dem Krümer seine Schulden,
und behält oft nichts mehr in den Händen. Jedenfalls werden sie
durch diese bequeme und reichliche Einnahme nicht reich, wohl aber
faul. Angenehm zu sehen sind sie Sonntags, wenn der Gutsherr
ihnen eiue Musik in seinem Parke aufspielen läßt, wenn sie tanzen,
singen, schaukeln, oder wenigstens zusehend und zuhörend umherstehen
und gehen. Ihre Tracht ist malerisch und bunt, ihr Gang und Be-
nehmen nicht ohne Anstand, ihre Züge oft schön; sie sitzen und stehen
in schönen Gruppen meist eng verschlungen oder Hand in Hand. Ihre
Gesänge sind eintönig, oft von sehr lebhaftem Rhythmus, meist traurig,
fast ohne Melodie; ihr Singen sehr kunstlos und, mit dem Gesang
württembergischer Bauern, schweizerischer Hirten, venetianischer Gon-
deliere, neapolitanischer Improvisatoren verglichen, unschön. Dagegen
sind ihre Tänze dramatisch, belebt, feurig und graziös; einer derselben
hat große Ähnlichkeit mit dem „Langaus" der bayerischen Bergbewohner,
nur ist er gewandter und feiner. Von Musikinstrumenten habe ich nur
die Ziehharmonika ziemlich verbreitet gefunden.
Eine Datsche höhereu Stils gleicht einer Sommerwohnung in
Döbling und Hitzing oder in Mendon und Enghien, einem englischen
Landhaus oder einem Schlößchen am Starnberger See, möglicherweise
auch einer palermitanischen Villa aufs genaueste, je nachdem der Besitzer
oder Erbauer hier oder dort sein Ideal gefunden; eine gewöhnliche
Datsche aber ist ein hölzernes Gebände, welches bald mehr einem rus-
sischen, bald mehr einem tirolischen Bauernhaus, bald einem stil- oder
geschmacklosen Stadthaus ähnlich sieht, Holzfarben oder weiß mit grünem