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1. Bilder aus Europa mit Ausschluss des Deutschen Reiches - S. 65

1890 - Gotha : Behrend
Kijew. 65 Weinbrennerei sind sehr verbreitet. Die Stadt zerfällt in zwei ihrem Charakter wie ihrer Lage nach ganz gesonderte Teile: die untere Stadt, „Podol", die dicht an den Fluß herantritt, hat meist unan- sehnliche schmutzige Gassen und größtenteils hölzerne Häuser. Hier treiben die Händler, darunter viele Juden, und die Schiffer ihr Wesen. Der aristokratische Stadtteil liegt aus hohem Berge. Hier finden wir viele stattliche Gebäude, wie die „Wladimir-Universität," ein kolossales Gebäude, wie es bisher keine andere russische Universität be- sitzt, und die bedeutendsten Kirchen der Stadt, vor allen die berühmte Sophien-Kathedrale. An einem der am schönsten gelegenen Punkte aber, dort wo nach einer alten Sage der Apostel Andreas um das Jahr 40 nach Christus das Kreuz pflanzte, ist von der Kaiserin Elisabeth eine kleine zierliche Kirche ausgeführt worden. Von hier aus schaut das Auge über die untere Stadt hinweg das Dnjepr-Thal hinab. Den Dnjepr hinab gleiten zahlreiche Kähne in raschem Tempo; die Strömung ist reißend. Aber auch der Blick in die oberste Stadt ist ein erquickender. Das dichte Laub der Eichen, des Ahorns, der Pappeln und Akazien, das die Stadt umkränzt, wirkt in wohlthueudster Weise. Werden wir schon durch die Baumarten daran erinnert, daß wir uns im südlichen Rußland befinden, so bringt ein Gang durch die Straßen der oberen Stadt dies uns zu noch deutlicherem Bewußtsein: an den Fenstern Jalousieen; vor den Hotels und Kaffeehäusern Stühle und Tische, durch große leinene Zeltdächer gegen die heiße Julisonne geschützt; das herrliche Obst, darunter Melonen und Arbusen (Wasser- melouen), an den Straßenecken zu wohlseilen Preisen ausgeboten; die Trinkhallen, in denen Soda- und Selterswasser gereicht wird, weit häufiger als in Petersburg und Moskau. Die Bevölkerung von Kijew hat bereits eine ganz andere Physiognomie als die Moskaus. Man merkt sogleich, daß man im Lande der Kleinrussen ist. Auch vielen Polen begegnet man. Ungefähr eine Stunde von Kijew, stromabwärts, befindet sich der besuchteste Wallfahrtsort des Reichs, das „Kijewsche Höhlenkloster," das um die Mitte des elften Jahrhunderts durch den heiligen Antonius, welcher längere Zeit in Konstantinopel nud auf dem Berge Athos ge- weilt hatte, seinen Ursprung empfing. Man kann sich kaum einen düstereren Gang denken als den durch diese Katakomben. Zuerst steigt man in einem mit Glas gedeckten Korridor Hunderte von Stufen zur ersten Kapelle hinab. Zur Rechten und zur Linken kniet eine nnge- heure Menge von meist verkrüppelten Bettlern. Sie flehen, ihre ver- stümmelten Gliedmaßen vorweisend, die mildthätig gestimmten Wall- jahrer um ein Almosen an. Das Gemurmel, welches uns auf den ersten Stufen empfing, verwandelt sich, je weiter wir gehen, in ein immer lauter werdendes wüstes Geschrei, welches das Schauerliche der Situation noch erhöht. Endlich sind wir am Eingang in die eigent- lichen Höhlen angekommen und zünden uns Wachskerzen an. Ehe wir den unheimlichen Gang antreten, sällt unser Blick auf ein drastisches Fresko-Bild, auf welchem viele Teufel arme Menfchenseelen peinigen. Meyer, Lesebuch der Erdkunde Ii. 5
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