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1. Bilder aus Europa mit Ausschluss des Deutschen Reiches - S. 69

1890 - Gotha : Behrend
Die südrussischen Steppen. 69 flügel als Zuflucht gegen Habicht und Falken dient, schneidet sich vom Birnbaum den Peitschenstiel, wenn er mit schnellem Gespann die Steppe durchjagen will, bestreut mit duftendem Gras den Fußboden seiner Wohnung, schmückt mit ihm Spiegel und Wagen, bereitet sich aus Steppengewächsen die würzige Kräutersuppe, steckt dem Pferde einen Blumenbüschel hinters Ohr, hängt gewürzhafte Pflanzen in Bündeln an der Zimmerdecke auf, nagelt ein Balsambouquet über die Thür, bekränzt mit Gras und Blumen die Heiligenbilder, befestigt rings an Wand und Hausgerät kreuzweis Lavendel- und Balsamstränßchen, von denen er von Zeit zu Zeit einige Zweige abrupft, um sie zu kauen. Das Steppengras ist ja sein Erhalter und Ernährer, da es seine Herde weidet, und bunte Steppenblumen flechtet seine Tochter sich täglich ins dunkle Haar. Er hat ja nur die Steppe, die ihm alle Bedürfnisse befriedigen muß, von der ihm alles lieb und wert ist. Der Birnbaum und der Mongolenhügel sind seine Wegweiser, an beide knüpfen sich seine Erinnerungen und Sagen, der Schlehdorn giebt ihm Blüten und Früchte, giebt ihm den Stachel zum Ochsenstecken und den Zinken zu seiner Egge, mit welcher er die Heuschrecken zerfleischt und zerstückelt, den Schlehdorn besingt er im Liede, das Steppengras feiert er im schwermütigen Gesange; der Steppe verdankt er den Reichtum seiner Sprache, seine Beschäftigung, seine Poesie, seine Erhaltung. An ihr Leben, an ihre Veränderungen knüpft er sein Leben, sein Denken und Dichten; mit Steppengras feiert er sein Pfingsten, seine Heiligtümer. Mit dem Frühlinge erwacht auf der Steppe aber auch ein reiches Tierleben, welches sich hier in Freiheit entwickelt und tummelt, denn wenn auch des Morgens und Abends graue Nebel aus den feuchten Schluchten aussteigen, fo bleibt die Steppe selbst voll ungetrübten Sonnenscheins, weben und spielen schimmernde Lichtwellen um die Krautblätter, fließen im zitternden Wogenfchlage über die grünen Gras- ebenen und reichen als duftiger Streifen weit hinaus über den Rand ferner Bodenerhebungen. Jetzt huschen zierliche Erdhäschen durch das Krautgestrüpp, spielen und tändeln miteinander im Sonnenschein, jagen sich durch ihre Löcher in den Hängen der Thäler, die sie meilenweit unterhöhlt haben, lassen hier und dort ihr melancholisches Zirpen ver- nehmen, richten sich neugierig empor, wenn sie einen Menschen erblicken, fliehen, richten sich langsam von neuem auf und schlüpfen behend in ihr Erdloch, wenn sie Gefahr sehen. Klagend wiegt sich der Kiebitz in Schwärmen über den Weiden, jagen silberweiße Falken; weiden auf kahlen Strichen Trappenhorden, die der listige Kosak nicht selten be- schleicht, kreisen Adler in den Lüsten, fliegen Geier nach gefallenen <Äteppentieren, schreit der Wiedehopf, speist das Birkhuhn Wurzeln und Larven, ziehen Schwärme von wilden Tauben rauschend hin und wieder, denen Habicht und blutrote Falken folgen, schleicht der Wolf den Herden nach, wandert die numidische Jungfrau bedächtig durch das Gras, als ob sie die beiden Federlocken hinter dem Ohre zu verletzen und ihren Schwanenhals anzustrengen fürchte. Während die graugelbe Lerche in den Lüften schwebend singt, die Biene summend die Blumen-
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