1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Die südrussischen Steppen.
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und Schafe. Sobald diese in die Nähe der weiten Schlachthöfe ge-
kommen sind, aus denen ihnen der faule Blutgeruch entgegen weht,
sträuben sie sich, wollen nicht weiter, brüllen und stöhnen und können
nur durch List und Gewalt abteilungsweise in den Hof gebracht werden.
Hier befällt sie Zagen und Zittern, sie verschmähen das dargebotene
Futter, hängen den Kopf in banger Todesangst und müssen mit Ge-
walt in den Schlachtsaal getrieben werden, wo ihnen die rohen Schlacht-
knechte mit schwerer Axt das Rückgrat zerschmettern, daß die Tiere mit
unsäglichen Schmerzen verenden. Bis an die Knöchel waten die
Schlächter mit den Stulpstiefeln in Blut, auf dem Hofe sammeln sich
Blutlachen, schleppen Huude, Geier, Nabeu, Seemöwen sich mit Ein-
geweiden und Fleischresten umher und raucht es in den Talgsiedereien
Tag und Nacht.
Ahnliche Schrecknisse erlebt das Wild in der Steppe, denn der
Herbst bringt die Steppenbrände, die absichtlich und unabsichtlich an-
gelegt werden. Meilenweit ist die Steppe ein Fenermeer, welches den
nächtlichen Himmel rötet. Knisternd und fußhoch züngelnd schreitet der
Brand vor, hier schnell über dichtes Gras laufend, dort langsamer am
holzigen Gestrüpp zehrend oder von einer Schlucht oder von einem
Wege aufgehalten. Funken fliegen empor, dort knistert die dünne Königs-
kerze wie eine Rakete, hier zischt das feine Büschel des Seidenkrantes,
und ein schwüler Gluthauch weht von der Flamme herüber. Da fliehen
Wolf und Hund, Vogel und Amphibie, da stürzen wilde Herden in
wildem Jagen davon und müssen sich oft durch einen kühnen Lauf
durchs Feuer retteu. Noch grauenhafter wird der Brand, wenn ein
Schilfwald brennt, und ein Feuerstrom knisternd und prasselnd das
Thal herabzieht. Wie schwirren da die Bogelscharen schreiend empor,
kommen Wölse aus dem Dickicht geschossen und stürzt mancher fliegende
Pelikan oder Hänfling in das Feuer! Nach dem Brande erscheinen
endlich die Winterstürme und fegen die Steppe rein. Sie brechen das
dürre Schilf, knicken der Windhexe den Kopf ab und treiben ihn
hüpfend wie einen Federball über die Steppe, bis er in ganzen Wolken
ins Meer fällt. Bald sinkt auch Schnee nieder und deckt die Steppe
zu, so daß sich die Herden ihr karges Futter unter dem Schnee hervor-
scharren müssen. Jetzt treibt sie der Hirt in die Umzäunung des
Winterschuppens, der nur zum kleinsten Teil bedeckt ist. Frierend und
hungernd drängen sich die Tiere aneinander, um sich zu erwärmen,
doch manches erliegt dem Klima und dem Mangel. Auf der Steppe
aber treiben die rafenden Schneestürme ihr Spiel, welches denen Ver-
derben bringt, die von ihnen überfallen werden.
Bei heiteren Himmel bricht der Schneesturm heulend herein und
rast gewöhnlich drei Tage. Er hebt den lockern Schnee vom Boden
aus, wirbelt ihn durcheinander und sendet dann zugleich aus schweren
Wolken ein furchtbares Schneewetter herab, daß Erde und Himmel in
wirbelnde Schneewogen aufgelöst scheinen. Da kann man °kein Auge
öffnen, keine Richtung finden, sondern wird vom Sturm willenlos fort-
getrieben. Werden Herden von ihm auf der Steppe überfallen, so sind