1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Bilder aus Ost-Europa.
Burian (Gestrüpp) der Steppe sehr bemerklich. Er wird mannshoch
oder noch viel höher und nimmt ebenfalls oft große Flächen ein. Das
Vieh frißt ihn in der Regel nicht. Nur im Juli und August, wenn
alle andern Kräuter vertrocknen, benagt es auch seine Blätter. Als-
dann wird alle Milch und Butter in der Steppe unschmackhaft und bitter.
Unter den Wermut mischt sich gern „das Steppenlicht", „die
Königskerze" deren Blätter jedes Vieh unberührt läßt, und die daher
immer Gelegenheit erhält, sich völlig zu entwickeln, alle ihre gelb
leuchtenden Blumen zu entfalten, sie auf klafterhohen Stengeln als
Leuchter aufzustecken und sie im Herbste gewöhnlich eine nach der
andern abzubrennen. Auch der wilde Klee, die 1 bis 2 m hohe
Schafgarbe, die wilden Pastinaken, der wilde Hans, die Wolfsmilch,
die Gehlrübe und viele andere werden zum Burian gerechnet. Der
Steppenteppich ist äußerst grob gewebt, ohne alle übersehbare, bunte
und wohlgefällige Mischung. Der Reisende wird es daher nirgend inne,
daß die Steppe noch so viele Pflanzenarten nährt, da er gewöhnlich
nnr drei bis vier Arten von ihnen im Besitze des Bodens sieht, oft
gar nur eine. Ein paar Werste weit sieht man, wie schon erwähnt,
nichts als Wermut und Wermut, wieder ein paar Werste nichts als
Wicken, einige Werste Königskerzen, einige Werste Steinklee, eine
Station lang nickendes Seidenkraut, eines Mittagsfchlafeslänge Salbei
und Lavendel, einen Horizontkreis voll mit Tulpen, ein Resedabeet
von 16 km im Umkreise, ganze Thäler mit Kümmel und Krauseminze,
unbegrenzte Bergrücken mit Windhexe und sechs Tagereisen mit ver-
trockneten Grashalmen.
3.
Zur Verbesserung des Graswuchses wird das Abbrennen der
politischen Steppe, vorgenommen Mitunter gerät aber auch die
Steppe im Sommer durch einen Zufall iu Brand oder wird böswillig
angezündet.
Die zufälligen Brände gehen zuweilen außerordentlich weit, 30
bis 60, ja bis 1000 Werfte und noch mehr und richten dann oft viel
Unglück au. Nicht nur einzelne Gehöfte, sondern auch ganze Dörfer,
die mitten im Steppengrase liegen und nur von ihren Heu- und
Strohhaufen umgeben sind, vernichten sie. Ein solcher wilder Brand
schreitet bald langsamer, bald schneller vor, je nach der Stärke der
Richtung des Windes und je nach der Beschaffenheit des Grases, das
er auf seinem Wege findet. Kommt die Flamme in hohe Unkraut-
oder Dornenwälder, fo wütet sie hier in gewaltiger Unruhe, und die
Flammen schlagen hin und her hoch empor, bis sie alles eingeäschert
haben und weiter wandern. In tausend Legionen von Flammen er-
gießt sich der Strom in rasendem Tanze über die Flur, immer die leicht
entzündlichen Grashauseu fast ohne Dampf vernichtend, hinterher zieht
sich ein dampfender Feuernachtrab, der das niedrigere Gras nachholt.
An Thälern und Wegen postieren sich oft Menschen, die dem
Toben des wilden Elements Einhalt thun wollen, verbreitern den Weg