1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Die südrussischen Steppen.
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schlossenen Haufen hinein, schießen und scheuchen darin umher, um ihn
so, da er weder vorwärts schreiten noch sitzen bleiben kann, zum Auf-
fliegen zu zwingen.
Glückt ihnen dies, oder fanden sie ihn gleich beim ersten Anzüge
noch in der Lust, so beginnen sie nun ein Lärmen wie die Jagd des
wilden Jägers. Einige haben große Tücher an Stangen gebunden,
andere tragen brennende Strohwische an langen Fackelstäben in die
Höhe. Sie wedeln, flaggen, schießen, jauchzen, trommeln, klingeln und
bringen die ganze Atmosphäre m Aufruhr. Die erschreckten Heuschrecken,
die vielleicht schon im Fallen begriffen waren, steigen dann wieder etwas
höher, und indem die Leute, im lärmenden Tumulte über Thal und
Hügel springend, ihnen beständig folgen, gelingt es ihnen nicht selten,
den Schwärm über ihre Äcker und ihr Dorf schwebend hinwegzuführen.
Haben sie das Meer oder einen Liman (Mündungsbusen) in der Nähe»,
so suchen sie ihn allmählich auf die Seite ins Wasser zu treiben. Führt
ein starker Wind die Heuschrecken ins Meer hinaus, so ist es merk-
würdig, daß sie, darin niederfallend, sich nicht in einer breiten Schicht
darauf hinlegen, fondern sich pyramidenweise anhäufen, so daß, wo einige
Millionen niederfielen, sich eben dahin auch die andern setzen, wie auf
eilte, gleichsam durch die Leiber der audern gebildete, trockene Insel.
Indem sich dann alle auf solchen einzelnen Inseln anhäufen, bilden sie
so verschiedene, im Meere schwimmende, gegen 1/2 m hohe Berge, die
durch all die sich anklammernden Beinchen und Gebisse fest zusammen-
hangen und mehrere Centimeter tief ins Waffer gehen. Ist ihnen der
vom Lande wehende Wind stark entgegen, so werden diese Heuschrecken
immer weiter ins Meer hinausgetrieben und kommen so allmählich um.
Doch muß der Wind stark sein; denn können die Tiere ihm nur
einigermaßen entgegenarbeiten, so kehren sie wieder um. Die, welche
oben auf dem Trockenen der Insel sind, fliegen wieder auf und kommen
gegen den Wind ans Land zurück. Die, deren Flügel genäßt find,
suchen sich schwimmend ans Ufer zu arbeiten; und kommen sie dazu,
— die Heuschrecken haben, so wenig sie das Wasser lieben, doch ein
zähes Leben und ertrinken nicht leicht, — so sitzen sie dann zu Milli-
ouen auf dem Sande des Ufers, schlagen mit den Flügeln, trocknen sie
schnell und schließen sich dem Zuge der übrigen an. Die ertrunkenen
werden ebenfalls allmählich ans Ufer getrieben, färben hier den Schaum
der Brandung fchwarz und bedecken den Rand des Waffers in langen
Dämmen wie ausgeworfener Seedünger.
^ Gelingt es nicht, auf die angegebene Weise den im Felde liegenden
schwärm in die Höhe zu bringen, was z. B. bei Regen oder auch nur
bei feuchter Luft durchaus unmöglich ist, weil dann die Heuschrecke matt
am Boden liegt und kaum dem sie zertretenden Fuße ausweicht, so bleibt
dann nichts anders übrig, als die bereits bedeckten Äcker preiszugeben
und so viele als möglich zu verderben, um wenigstens das Übel zu
mindern. In den Gärten zertritt und zerschlägt man sie auf alle mög-
liche Weise. Es ist kein Fuß und keine Hand in der ganzen Steppen-
gegend, die nicht schon viele Tausende dieser Unholde gemordet hätte.