1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Der Kaukasus.
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Handel fast ausschließlich in den Händen der Griechen, Armenier und
Juden liegt. Im Laufe der Zeit werden aber, wie andere Reste der
alten Bevölkerung der Krim, auch die Tataren der neuen Bevölkerung,
welche die Krim erhält, das Feld räumen muffen. Slaven und
Germanen teilen sich hier in die Kulturarbeit, erstere mehr in den
Städten, letztere auf dem flachen Lande thätig. In Simferopol,
der 17 000 Einwohner zählenden Hauptstadt des Gouvernements
Taurien, ist neben der alten Tatarenstadt eine freundliche ruffische
Stadt entstanden, neben der das Tatarenviertel mit seinen engen und
unreinen Gassen wie ein absterbender Zweig an einem frischgrünenden
Stamme erscheint, und auch an der Südküste und in den größeren
Städten der Ostküste, in Kertsch, Jenikale, gewinnt das Russentum
immer mehr Boden. Mitten zwischen tatarischen Städten und Dörfern
aber liegen als äußerste Vorposten europäischer Bildung zahlreiche
deutsche Niederlassungen, von denen einzelne bereits eine stattliche Be-
Völkerungszahl aufzuweisen haben. Roskoschny,
10. Der Kaukasus.
1. Der Kaukasus aus der Ferne gesehen. — 2. Die Natur des Kaukasus. —
3. Meteorische Naturscenen.
1.
Die Bergwelt des Kaukasus sah ich zuerst von Jekaterinograd in
ihrer ganzen Herrlichkeit. Ich war in jener Hauptstadt der Linien-
kosaken am späten Abend angekommen. Als ich am Morgen erwachte,
lachte die helle Sonne durch die Scheiben — ein lang entbehrter An-
blick. Mein Diener war vor mir ausgegangen und trat nun Plötzlich
in das Zimmer mit dem freudigen Zuruf, man sehe den ganzen Kau-
kasus in allerschönster Klarheit. Ich eilte hinaus, und da stand ein
Naturgemälde vor mir, das mir unvergeßlich bleiben wird. Der
Nebel, der uns so lange den Anblick des Kaukasus mißgönnt hatte,
war gefallen, und eine helle Atmosphäre leuchtete über Steppe und
Gebirge. Jetzt freue ich mich fast des düsteren Wetters der letzten
Tage; denn die Überraschung war um so schöner, die Wirkung des
unbeschreiblichen grandiosen Bildes um so gewaltiger, da nun der
Vorhang so mit einem Mal gefallen war. In unabsehbarer Reihe
standen die kaukasischen Eiskolosse im Hintergrunde der Steppe; sie
schienen ganz nahe, obwohl ihre wirkliche Entsernung noch einige
Tagereisen betrug. Über das dunkle, bewaldete Vorgebirge ragten sie
in den bizarrsten Formen, als Zacken, Säulen, Hörner, Kuppen,
Pyramiden hervor. So zerklüftete, wild zerrissene Felswände, so
kühne Gipfelformen, wie die Riesen der kaukasischen Centralkette, haben
weder die Alpen der Schweiz, noch der Taurns, noch der Atlas, der
Balkan, die Apenninen oder irgend eines von den mir bekannten Ge-
birgen Enropas. Die Orientalen nennen den Kaukasus mit Recht den
Tausendgipfeligen.