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1. Bilder aus Europa mit Ausschluss des Deutschen Reiches - S. 109

1890 - Gotha : Behrend
Konstaritinopel. 109 tafte, die sich die sonderbarste Vereinigung aller Typen, Kostüme und Gesellschaftsklassen vorstellen wollte, kann sich doch nimmer ein Bild der fabelhaften Verwirrung machen, die hier ein Raum von zwanzig Schritten, eine Zeit von zehn Minuten zeigt. Hinter einem Haufen türkischer Last- träger, die schwer beladen vorbeilaufen, kommt eine mit Perlmutter und Elfenbein ausgelegte Sänfte, aus der eine Armenierin hervorguckt. Zu beiden Seiten gehen Beduinen, in weiße Mäntel gehüllt, und ein bejahrter Türke im himmelblauen Kaftan, das Haupt von einem weißen Turban bedeckt. Neben ihm reitet ein junger Grieche, den sein Dolmetscher in reichgestickter Jacke begleitet, und ein Derwisch mit großem spitzen Hut, in der Kutte von Kamelshaaren, drückt sich auf die Seite, um die Karrosse eines europäischen Gesandten und dessen galonnierten Vorreiter vorbei zu lassen. Alles zieht an den Augen vorüber, ohne daß man recht die Blicke darauf ruhen lassen könnte. Ehe wir uns rückwärts wenden, sind wir schon wieder von einer Schar Perser umgeben, deren pyramidal- förmige Pelzkappen wir anstaunen, und wenn sie kaum vorüber siud, sehen wir einen Juden in langem, gelbem, an den Seiten offenem Ge- wände, eine rauhhaarige Zigeunerin, die ihr Kind in einem Sack auf dem Rücken trügt, einen katholischen Priester mit Brevier und Stab. Zwischen einer verwirrten Menge von Griechen, Türken, Armeniern reitet, laut „Platz!" rufend, ein dicker Euuuche einer mit Blumen und Vögeln bemalten türkischen Equipage vorauf, in der die Damen eines Harems, violett und grün gekleidet, in weiße Schleier gehüllt, sitzen. Hinter ihm kommt eine barmherzige Schwester, gefolgt von einem afrika- nischen Sklaven, der einen Affen trägt, und von einem Geschichten- Erzähler im Gewände des Nekromanten. Es ist vollständig natürlich, erscheint aber dem Neuling ganz seltsam, daß alle diese so verschiedenen Menschen sich begegnen und aneinander vorübergehen, ohne sich gegenseitig anzusehen, gerade wie die Menge in London. Niemand steht still, alle drängen eilig weiter; unter hundert Gesichtern blickt kaum ein einziges mit einem Lächeln auf. Der Albanese im weißen Unterkleid, die Pistolen im Gürtel, geht an der Seite des Tartaren, der sich in sein Schaffell wickelt; der vornehme Türke reitet neben bunt geschmückten Eseln, zwischen zwei Reihen Kamelen; hinter dem hoch auf einem arabischen Renner thronenden zwölfjährigen, persön- lichen Adjutanten eines kaiserlichen Fürsten schwankt ein Lastwagen, ganz mit dem bizarren Material eines türkischen Hauses beladen. Die Türkin zu Fuß, die verschleierte Sklavin, die Griechin im roten Barett, ihre langen Flechten über die Schultern geworfen, die Jüdin in dem alten Gewände Jndäas, die Negerin in bunte Tücher aus Kairo gehüllt, die Armenierin aus Trapezunt, tiefschwarz und wie eine düstere Erscheinung verschleiert, befinden sich oft in einer einzigen Reihe, als wollten sie ganz bewußt einander zur Folie dienen. Es ist eine wechselnde Mosaik aller Rassen und aller Religionen, die sich beständig mit einer Geschwindig- keit zusammenfügt und auslöst, der kaum die Augen folgen können. Bei einem ersten Spaziergang über die Brücke findet man natürlich keine Zeit, alle Einzelheiten zu beobachten. Man hat kaum Zeit, die
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