1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Silber aus Süd-Europa.
Menge vorhanden ist, kommt doch selten ein gutes Stück Fleisch auf
den Tisch. Brei aus Maismehl und Wasser spielt, wie überhaupt in
den südlichen Ländern, auch hier eine Rolle. Als besondere Leckerbissen
werden gebackene Schnecken angesehen. Bei der Bereitung der Speisen
kommt viel Paprika zur Verwendung. Außer Branntwein wird viel ein-
heimischer Wein getrunken, den der Rumäne mit Wasser vermischt ge-
meßt. Auf die Zubereitung desselben wird jedoch viel zu wenig Sorg-
falt verwendet, weshalb er sich nicht über ein Jahr hält und manchmal
so wenig Farbe hat, daß er hell wie Brunnenwasser aussieht. Immer
wird, wenn man in einer rumänischen Familie seinen Besuch macht, die
Cigarette angeboten. Auch Damen rauchen solche und verstehen sie eben-
so geschickt zu drehen wie die Männer. Unter den kirchlichen Festen
wird das Osterfest besonders glänzend gefeiert. Man bereitet sich darauf
durch ein sechswöchentliches Fasten vor, spricht aber nachher schon am
ersten Tage des Festes den langenlbehrten Genüssen in so unmäßiger
Weise zu, daß am zweiten Feiertage fast jedem übel zu Mute ist.
Die Rumänen sind in geistiger Beziehung ein gut beaulagtes, ein-
sichtiges Volk, dem aber die rechte Ausdauer und Gründlichkeit abgeht.
Unter den Kansleuteu Rumäniens gelten die Griechen als besonders
gewandt und schlau. Die Handwerker sind in den meisten Fällen Deut-
sche. Sie würden sich viel besser stehen, wenn nicht unter der ver-
mögenden und gebildeten Klasse des Volkes die Unsitte bestände, Möbel,
Kleider, Wagen und dergl. aus Paris, Wien und Pest kommen zu lassen.
Tausende von Zigeunern sind im Lande ansässig und leben in Dörfern
beisammen. Noch immer setzen sich alle Musikbanden des Landes vor-
wiegend aus Zigeuueru zusammen.
Mit einem gewissen Stolze spricht der Rumäne von der Hauptstadt
seines Landes, die seit 1881 eine königliche Residenz ist. Bukarest
liegt in einer weiten Ebene an dem schmutzigen Flusse Dimbowitza.
Die Stadt ist so umfangreich wie Berlin, hat etwa 180 000 Ein-
wohner, die in 16 000 Häusern wohnen und 140 griechische, römische,
evangelisch-lntherische und jüdische Kirchen besuchen. Ähnliche Zahlen-
Verhältnisse findet man selten.
Besteigen wir den Hügel, auf welchem die Metropolit au-
Kirche sich erhebt, Bukarest weithin überragend. Von hier ans wird
die Stadt am häufigsten aufgenommen, denn nirgends gewährt sie ein
schöneres Bild. Es ist ein eigentümlicher Anblick, reizend in Fülle und
Mannigfaltigkeit. Prächtige Paläste, ein weites Häusermeer, einen
Fluß, welcher sich hindurchzieht, großartige Kirchen, alles das haben
die Hauptstädte unserer civilisierten Länder auch aufzuweisen, und wir
haben diesen zusammengedrängten Massen, in denen kein Einzelbild sich
sondert und doch auch keine künstlerische Idee das zusammengeschobene
Chaos beherrscht, niemals Interesse abgewinnen können. In der
Schöpfung von Bukarest waltete aber nicht die Notwendigkeit und die
Spekulation, sondern Neigung und Lauue. Mit dem Räume ist
nirgends gespart worden — weit genug dehnen sich ja ringsum die
Steppen. Hier entstand ein Palast, dort eine Hütte; hier wurde ein