1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Bilder aus Süd-Europa.
stnden. Noch heute lebt die gesamte deutsche Kunst von diesem Dahin!
Dahin! und so lange wird die deutsche Kunst nicht aussterben, als sie
die Sehnsucht, das Heimweh nach dem Süden wahr und ganz suhlt
und empfindet." (Vilmar, Zum Verständnis Goethes S. 5.)
Wohl ist dem Drange der nach Italien flutenden Völkerwanderung
Einhalt gethan, wohl haben die frommen Römerzüge aufgehört; die
Sehnsucht der Deutschen nach Italien ist aber damit nicht gestorben.
Sie hat seitdem, wenn auch nicht in dem ganzen Volke, so doch in
den Herzen einzelner Männer sortgeglüht mit ihrer ganzen Macht, und
zwar um so stärker, je mehr in denselben das Wesen des deutschen
Volkes klar und kräftig hervortritt. In wie manchem Dichterleben
bildet eine italienische Reise eine Glanzepoche und eine so entscheidende
Wendung, daß man danach vor- und rückwärts zählen möchte! Goethe
hat seine Sehnsucht nach Italien zum Inhalte eines seiner am tiefsten
empfuudeuen Lieder gemacht. Wer hat ihm nicht nachgefühlt die
Schmerzen und die Qualen, die sein Herz durchzogen, als er das sehn-
fuchtsvolle Mignonlied sang! Kurz vor seiner Abreise nach Italien
hat er, wie er gegen Herders Frau äußerte, täglich geweint wie ein
Kind. Glück, Freundschaft, Thätigkeit, Liebe — alles verließ er, um
Italien, das Land feiner Träume, der Träume seiner Kindheit, seiner
Jünglingsjahre, seines Mannesalters zu sehen. Wer hätte auch nicht
selber schon besonders in jüngeren Jahren, eine solche Sehnsucht uach
dem herrlichen Süden empfunden mit seiner unvergleichlichen Natur
und seinen Denkmälern herrlicher Kunst! Und wer zählt die große
Anzahl von Reisenden, die, getrieben von diesem Drange, alljährlich
nach Italien strömen, um in diesem paradiesischen Lande aufzuatmen
und in der Fülle der dort aufsteigenden Gefühle zu schwelgen!
Woraus erklärt sich aber diese wunderbare Sehnsucht der Deutschen
nach Italien? Die Frage drängt sich unwillkürlich bei einer Erscheinung
auf, die so einzig in ihrer Art dasteht.
Drei Gegenstände sind es besonders, an denen sich ein offener
Sinn in Italien laben kann: die Größe und Herrlichkeit der
Natur, die überal l ausgestreuten Denkmäler der Kuust und
die Bedeutung Italiens für die Weltgeschichte überhaupt, wie
auch .speziell für die deutsche Geschichte.
Über alles aber reicht die Größe und Herrlichkeit der italienischen
Natur. Sie ist größer und herrlicher als die Kunstdenkmäler Italiens,
weil die Kunst aus ihr nur Stücke darstellen kann; sie ist größer und
herrlicher als die geschichtlichen Thatsachen, die sich auf jenem klassischen
Boden vollzogen haben, weil vor ihrer ewigen Jugend die Menschen-
geschlechter hinsterben.
Die Naturschönheit Italiens ist es deshalb auch besonders, welche
von jeher die Deutschen nach jenen hesperischen Gefilden gezogen hat.
Wer auch hätte sich noch nicht gesehnt, das sorglose, ruhig hin-
schlummernde Naturleben zu genießen, zu durchstreifen die kleinen
malerischen Gebirgsftüdte mit epheuumrankter, malerischer Verfallenheit,
um feine von rastloser Thätigkeit und verzehrender Lebensunruhe aus-