1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
174 Bilder aus Süd-Europa.
Häusig sind diese Grabkapellen je zwei einander gegenübergestellt
und durch eine Gallerie miteinander verbunden. Wenn diese nach dem
Zeugnisse der Kirchenlehrer auch für den Gottesdienst eingerichtet waren
— noch jetzt sieht man die in den Tuff eingehaueueu Sitzplätze — so
haben sich'die ersten Christen doch hier nicht regelmäßig versammelt;
dazu wäre der Aufenthalt, besonders in den Sommermonaten, zu uu-
gesund gewesen. Ursprünglich scheinen sie vielmehr zum gemeinschaftlichen
Gottesdienste in Privatgebäuden, in dem Hanse eines ihrer reicheren
Religionsgenossen sich versammelt zu haben, so daß der gemeinschaftliche
Gottesdienst in den Katakomben wohl als eine Ausnahme von der Regel
betrachtet werden muß. Solche Ausnahmen traten ein, wenn der Sturm
der Verfolgung zu heftig wütete und sich den Christen keine andere
Stätte zu ihren religiösen Versammlungen darbot als diese unterirdischen
Grabgewölbe. Solche Ausnahmen bildeten ferner die Gedächtnistage
der Märtyrer, deren Gebeine in den Katakomben beigesetzt waren. Diese
letztere Sitte erhielt sich anch dann noch, als sich nach Constantin das
Christentum bereits die gesetzliche Anerkennung im Staate errangen
hatte. Man legte nun neue, bequeme Eingänge zu deu Katakomben
an und vergrößerte und vervielfältigte die zur Erleuchtung und Lüftung
dienenden Öffnungen. Auch als Begräbnisorte wurden die Katakomben
noch einige Zeit benutzt, da die Christen sehr viel darauf hielten, in
der Nähe der Märtyrer beerdigt zu werden. Doch scheint diese Sitte
bald nachgelassen zu habeu. Schon im vierten Jahrhundert ließ sich
Papst Damasus *) eiue eigene Grabkapelle errichten, um, wie er auf
eiuer Zuschrift erklärt, die Ruhe der Heiligen nicht zu stören.
Länger aber erhielt sich der fromme Brauch, an dem Todestage
der in den Katakomben ruhenden Märtyrer sich an ihrem Grabe zum
Gottesdienste zu versammeln, und längere Zeit noch blieb diese Stätte
mit ihren heiligen Erinnerungen ein sehr besuchter Wallfahrtsort. Der
heil. Hieronymus**) bezeugt dies vou sich selbst und entwirft uus zugeich
ein Bild von dem Zustande dieser Totenstadt zu seiner Zeit, eine
Schilderung, die auch jetzt noch zutrifft. „Da ich als Knabe zu Rom
mich aufhielt, pflegte ich mit meinen Alters- und Studiengenossen an
Sonntagen iu die Grüfte hinabzuwandern. Da ist alles dnnkel. Nur
hier und da mildert ein Lichtstrahl von oben, nicht wie er durch eiu
Fenster einfällt, sondern wie er durch eine Ritze dringt, die schauerliche
Finsternis; sobald du vorwärts schreitest, erbleicht er, und in dem nächt-
lichen Dunkel, das dich umgiebt, erinnerst du dich unwillkürlich der
Worte des Dichters***): „Schauer und Schweigen ringsum erschütterte
jedes Geniüt".
In den Stürmen der Völkerwanderung und bis ins achte Jahr-
hundert wurden diese heiligen Orte, wo die eindringenden feindlichen
Horden Schätze zu finden hofften, durchwühlt, beraubt und verwüstet,
ja größtenteils verschüttet. Andererseits ließen die Päpste seit dem achten
*) Geb. 306, gest. 384. — **) Einer der hervorragendsten Kirchenväter,
geb. 331, gest. 420. — ***) Vergil.