1890 -
Gotha
: Behrend
- Autor: Meyer, Johannes
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
198 Bilder aus Süd-Europa,
blauen Jacken und rundem Hut, bepackt mit Ackergerät, kommen aus
den weißen Häuschen von Somma. Der fressende Lavastrom ist ins
Thal geflossen und hat mit unwiderstehlicher Gewalt ihre Gärten und
Felder überschwemmt und ihre Hänser verbrannt; sie werden niemals
wieder ihren Acker bebauen, er ist mit Lava bedeckt.
Noch am vorigen Abende leuchtete der friedliche Vollmond über
dieser zauberischen Landschaft, über diesen rebenumsponnenen Hängen
des Vesuvs. Niemand kümmerte sich um den gefährlichen Nachbar, der
schon jahrelang gespukt und dann wieder geschwiegen hatte. Alles
schlummerte in den umlaubten Hütten. Da um Mitternacht erhob der
Berg ein dumpfes Grollen und rüttelte an den Fenstern und Thören.
Ein Sturm brauste dazu, daß die Wände zitterten. Der besorgte Haus-
vater sprang ans und stürzte vor die Thür.
Er wußte nach dem ersten Blick, was ihm bevorstand. Sie kommt,
die uuentfliehbare Lava, die Verwüsterin der Städte und Dörfer! Nicht
wie die züngelnde Flamme, die nur das Haus bedroht, sondern wie eine
mächtige Feuermauer, purpurrot, rauschend und rasselnd und unter
ihrem langsamen Schritt alles begrabend und vernichtend, Häuser und
Bäume, Äcker und Gärten, — unlöschbar und nnbesieglich. Die Kräuter
und Sträucher knistern stammend vor ihr auf, ihr Feeur kriecht an den
Ranken der Reben in die Höhe und knistert in den Ästen der Bäume.
Nichts kann ihr widerstehen.
Schon hat der Bauer die Seinigen vom Lager aufgestört. Die
Frau schreit und ruft alle Heiligen an, die Kinder weinen und starren
mit ängstlichen Blicken in den Feuerschein. Hier gilt kein Säumen, denn
schon prasseln Schlacken und Steine, welche der Berg in großen Bogen
ausschleudert, um das Haus und auf das Dach, fchou brennt es bei
den Nachbarn. Schnell werden die notdürftigen Habseligkeiten zu-
sammengerafft und das blökende Vieh an den Strick gelegt. So geht's
zur schleunigen Flucht. Von allen Seiten strömen die Flüchtigen zu-
sammeu. Laute Zurufe, Geschrei und Blöken, Jammern und Weinen
vermischen sich mit einander und mit den dumpfen Klängen der Kirchen-
glocken, welche in den Thülern geläutet werden. Geängstigt bleich und
schweißtriefend — so eilen die Vertriebenen thalabwärts, nach den?
Meere, nach Portici, nach Neapel.
In der Stadt ist meines Bleibens nicht, es zieht mich nach dem
Berge, nm der Verwüstung und dem Greuel ins Angesicht zu sehen.
Hinter Resiua sührt eiu Weg zwischen Weingärten aufwärts. Hier
haben Soldaten einen Cordon gezogen, um die verlasseueu Häuser zu
überwachen und den Dieben und Strolchen zu wehren, welche sich das
Unglück zu nutze macheu und zu plündern versuchen. 'Je höher ich
steige, desto mehr erdröhnt der Boden, desto lauter brüllt der Donner
des Berges, desto schwärzer erscheint die Wolke.
In einer Dorfkapelle liegen drei Opfer des Ausbruches, ein Land-
mann, ein zerlumpter Bauernknabe und ein fein gekleideter junger und
schöner Mann. Man fand sie erschlagen, erstickt, halb verbrannt unter
den Schlacken. Viele andere hat ein grausamer Feuertod iu der Lava